Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Lilli Nawar, 18 Jahre
Wenn man die Nachrichten liest, dann liest man von schrecklichen, boshaften Taten.
Täglich werden Frauen und Mädchen ungerecht behandelt, dürfen nicht zur Schule gehen, werden von ihren Partnern bloßgestellt, misshandelt, vergewaltigt ja sogar getötet.
Das alles, weil ihnen eine einzige Sache fehlt: ein Penis.
Das mag jetzt vermutlich sehr derb klingen und mich als „kahlrasierte Hardcore-Feministin“ abstempeln, aber Fakt ist, dass eine eindeutige Diskrepanz im Vergleich zwischen Gewalttaten auf Männer und Frauen besteht.
Aufzudecken, wie es dazu kam, vermag ich nicht, jedoch kann ich auf die Auswirkungen eingehen, die diese Nachrichten hervorrufen.
Das kann ich, weil ich selbst ein Mädchen bin mit tatsächlich sogar relativ langem Haar, das die Auswirkungen oft genug miterlebt hat.
Wie ich auf solche Nachrichten reagiere und warum möchte ich im folgenden Essay versuchen zu erklären.
Ich habe tatsächlich kein großes Unrecht aufzudecken, an dem ich diesen Essay festmachen könnte und das ist meiner Ansicht nach längst Teil des Problems geworden.
Wie angedeutet kann man in jeder Zeitung, in jeder Buchhandlung Artikel und Autobiographien finden, die von Frauen berichten, denen besagte Gräueltaten angetan wurden.
Die Frage, die sich mir nun stellt ist, wie reagiere ich auf solche Nachrichten und ich denke, die meisten werden es mir nachempfinden können, wenn ich sage: gar nicht.
Anstatt diesen Frauen meine Aufmerksamkeit zu zollen, scrolle ich in meinem Handy weiter und greife doch lieber nach dem Krimi, dessen Gewalt ich immerhin in der Fiktion verbuchen kann und deshalb in der Lage bin, mich emotional davon abzugrenzen.
Das Einzige, was noch Aufmerksamkeit oder Entrüstung hervorruft, sind also noch schlimmere, noch schockierendere, noch unmenschlichere Zustände, die mit einem großen Aufschrei für ein paar Tage die Medien besetzen und uns allen etwas näher gehen.
Die Frage ist also, wofür diesen Artikel hier lesen? Ich kann über nichts Neues berichten. Als Leser, der so aufgeklärt wie möglich erscheinen will, hat man sein Soll schließlich erfüllt. Und hier stoße ich auf etwas, was mich wirklich erschüttert. Man hat sich so an solche Nachrichten gewöhnt, dass eine weitere Vergewaltigung, von der berichtet wird, nicht viel mehr in einem auslöst, als kommendes schlechtes Wetter.
Erneut höre ich mich vermutlich an, wie eine, die laut verkündet, sie hasse Männer aus Überzeugung gegen das Patriarchat.
Derartigen Hass verspüre ich nicht, weil all das Unrecht so hochfrequentiert auf mich einprasselt, dass ich zu stumpf und erschöpft bin, als dass ich noch jedes Mal aufspringen könnte um das/den Bösen zu bekämpfen.
So findet sich dieses Unrecht auch in der Werbung und in Filmen wieder:
Die fleißige Hausfrau nimmt sich eine Auszeit von der Hausputzerei, um ihren Schokoriegel zu essen und eine Prominente preist ein Haarshampoo derartig an, dass ich schon befürchten muss, meinem Dasein Harakiri-mäßig ein Ende zu bereiten, wenn ich nicht augenblicklich dieses glänzende schaumige Gold erwerbe, das 9 von 10 Frauen so lieben.
In den seltensten Fällen haben Frauen in den Medien eine größere Bedeutung, als dem derzeitigen Schönheitsstandard zu entsprechen oder eine gebende, dienende Rolle zu verkörpern.
Das Computersystem „Alexa“ ist weiblich, genau wie nahezu jedes Navigationssystem in Autos. Es hilft, es dient, doch es denkt nicht.
Natürlich kann man die vorprogrammierten Einstellungen ändern, doch je mehr man darauf achtet, desto auffälliger wird es, dass Männer medial höchst selten eine so ausgeprägt unterwürfige Rolle einnehmen wie Frauen.
Ebenso kann man in der Filmindustrie merkwürdig verdrehte Frauenbilder en masse auffinden, so zum Beispiel in etlichen Actionfilmen in denen die Aufgabenverteilung prädestiniert zu sein scheint: Der Held rettet die Welt und dann seine Frau/Tochter, die scheinbar völlig kampfunfähig heulend auf ihn wartet.
Insgesamt also genug um sich zu wundern, doch zu radikal, um deshalb schon zu einer landesweiten Rebellion aufzufordern.
Man wird also wütend über diese subtile Art der sexistischen Darstellungsweise von Frauen, die uns letztendlich alle ein Stück weit beeinflusst.
Doch wenn ich wütend bin, wird mir das augenblicklich als hormonell bedingt ausgelegt, denn ich bin der Krankheit „Mädchen sein“ schlichtweg unterlegen. Immer und überall.
Anstatt wütend zu werden, bleibt einem also oft nur Resignation, weil derart fruchtlose Kritik meinerseits nur Kraft raubt.
Woraufhin sich mir auch hier wieder die Frage stellt, ob man durch das ständige Abwürgen und Generalisieren von Kritikpunkten nicht schon wieder versucht Frustration zu erreichen.
Wer konstant müde vom Diskutieren ist, wird oft auch nicht mehr diskutieren.
Was ich an diesen Beispielen also zeigen möchte ist, wenn man genau sucht und Begebenheiten in Frage stellt, die für selbstverständlich hingenommen werden, dann muss man feststellen, dass sich Sexismus überall wiederfindet. Man wird hochsensibel und stumpft trotzdem ab.
In irgendeiner Form ist es sicher auch verständlich, dass man nicht tagtäglich nur wütend sein kann und sich deshalb oft taub stellt, trotzdem halte ich es für wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass das, was man gerade erlebt, nicht in Ordnung ist und man jedes Recht dazu hat, ganz undamenhaft seine Meinung laut zu äußern.
Nur durch das Generieren von einem Problembewusstsein kann sich etwas ändern.
Wir waren lange genug leise. Es wird Zeit, ein beschämtes Schweigen am Tisch in Kauf zu nehmen oder dem Gegenüber ebenfalls Unbehagen zu bereiten, so wie wir uns oft unbehaglich fühlen, wenn sexistische Witze oder Kommentare gemacht werden, die nicht lustig sind.
Und wenn das bedeutet, dass ich einer „kahlrasierten Hardcore-Feministin“ nicht ganz unähnlich bin, dann muss ich das in Kauf nehmen. Haare? Gut, die sehen schön aus und passen auch prima zu meinem äußeren Erscheinungsbild, doch meine Integrität? Die ist mir richtig was wert und die schmeiße ich nicht weg.