Regenbruch

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Marie-Sophie, 17 Jahre

Regentropfen bedeckten die Fenster und Maeva starrte betrübt hinaus. Sie hatte sich krankgemeldet. Sie konnte einfach nicht ins Büro gehen, wenn ihr Chef jede ihrer Bewegungen analysierte und ihr bei dem Versuch ihre Elternzeit in Anspruch zu nehmen, die Tür vor ihrer Nase zu schlug und meinte, dann könnte sie gleich ganz gehen.
Doch Maeva hatte gerade ihr erstes Kind bekommen, ein Mädchen, und sie konnte es einfach nicht glauben, dass ihr Chef ihr keine Elternzeit geben wollte.
Es stürmte draußen und der Wind peitschte gegen die Fensterscheiben.
Irgendetwas musste Maeva doch tun können. Aber ihr fiel einfach nichts ein.
“Wenn ich hier so rum sitze, kann ich auch einfach den Dachboden ausräumen”, meinte sie dann zu sich selbst und schnappte sich ihre Tochter Eve. Seit Wochen wollte sie schon ein bisschen ausmisten. Da konnte sie doch zumindestens heute einmal anfangen. Mit einem aufklappbaren Kinderbett und Eve im Arm machte sie sich auf den Weg nach oben. Auf dem Dachboden angekommen, baute sie das Bett auf einer freien Stelle auf und machte sich an die Arbeit.
Hier lagen noch Sachen herum von vor dem zweiten Weltkrieg, aus den zwanziger Jahren. Ihre Ururgroßmutter musste es hier verstaut haben und bis jetzt hatte es noch niemand geschafft, ein bisschen Ordnung zu schaffen. Maeva ging systematisch vor. Erst sortierte sie die Kleidungsstücke, die in großen Tüten verpackt waren. Sie sortierte diese Sachen in drei Stapel. Einen wollte sie behalten, der zweite sollte weggeworfen werden und der letzte würde in die Kleiderspende gehen. Dann ging es an die Bücher.
Alte, zerschlissene wurden weggeworfen, brauchbare behalten und der Rest gespendet. Hunderte von Büchern bedeckten den Boden, und es dauerte Stunden bis Maeva sich überhaupt einen Überblick verschafft hatte.
Die Hälfte der Bücher waren alte Märchenbücher und Tagebücher. Was hatten nur Maevas Vorfahren alles behalten?
Sie blätterte durch ein paar der Tagebücher. Es schien so, als ob jeder in dieser Familie ein Tagebuch geführt hatte. Äußerlich waren die Bücher überhaupt nicht voneinander zu unterscheiden. Abgesehen von einem Buch. Im Gegensatz zu der grauen Farbe der anderen Bücher war dieses grell rot und mit einem dicken Schriftzug versehen.
„Privateigentum“, stand darauf.
Maeva schlug es auf und war sofort vertieft darin. Es schien von ihrer Ururgroßmutter gewesen zu sein, als sie ungefähr so alt war wie Maeva jetzt. Obwohl es Maeva nicht ganz richtig erschien, fing sie an zu lesen.
Lilia schien eine sehr willensstarke Frau in den zwanziger Jahren gewesen zu sein. Sie ließ sich nicht unterkriegen.
„Heute habe ich als eine der wenigen Frauen kein Korsett getragen. Meine Schwestern dachten, ich wäre jetzt verrückt geworden, doch das stimmt nicht. Ich will nur nicht, dass Ada, meine kleine Tochter auch dieses Leben führen muss. Ich möchte, dass sie in einer Welt aufwächst, in der sie tun und lassen kann was sie will, ohne Korsett herum laufen kann und einen Führerschein machen kann, ohne dass ihr Ehemann ihr die Erlaubnis dazu geben muss. Der erste Schritt ist schon getan. Endlich können wir als Frauen auch wählen. Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen. Ich werden weiter kämpfen. Um all das, was wir Frauen nicht haben. Morgen werde ich mit ein paar Freundinnen von mir demonstrieren gehen, dass wir endlich dort arbeiten können wo wir wollen, ohne Mitspracherecht von unseren Ehemännern.
Das ist auch der Grund, warum ich nie heiraten werde. Auch wenn das bedeutet, dass Ada ein uneheliches Kind bleibt. Ich werde mich in keine Heirat zwingen lassen. Nicht von meiner Mutter und erst recht nicht von meinem Vater. Ich möchte, dass meine Tochter und ihre Töchter ein freies Leben haben werden. Dafür werde ich alles tun, was in meiner Macht steht. Irgendjemand muss ja den Anfang machen.“

Maeva war verblüfft. Ihre Ururgroßmutter schien sich von niemandem unterkriegen zu lassen. Und es stimmte wirklich. Sie hatte nie geheiratet und hatte sich von keinem Mann bestimmen lassen, wie sie ihr Leben leben sollte.
Das war eine unglaubliche Frau gewesen. Maeva sah zu Eve. Ihr Baby spielte mit einem der Kuscheltiere und lachte gerade das dicke Nilpferd Kuscheltier an, als es den Löwen attackierte.
Für Eve würde Maeva auch alles tun.
Wirklich alles. Und deswegen würde sie nun für ihre Elternzeit kämpfen. Eves Vater war ja schon vor der Geburt abgehauen und hatte keinen Pfennig da gelassen.
Schnell schmiedete sie einen Plan. Die Wolken lichteten sich schon am Himmel als Maeva mit Eve im Kinderwagen zu ihrem Büro los stürmte. Sie würde sich die Elternzeit nehmen und für ihr Recht kämpfen.
Als Maeva das Büro betrat, waren die Wolken ganz verschwunden und ein strahlend blauer Himmel bestärkte sie in ihrem Vorhaben. Sie ging direkt zu ihrem Chef ins Büro.
“Ich habe gedacht sie sind krank”, meinte dieser hämisch, als sie den Kinderwagen in seinem Büro platzierte.
Maeva holte tief Luft, “Ja, doch ich bin trotzdem gekommen. Ich möchte nämlich meine Elternzeit genau jetzt beantragen.”
Ihr Chef hob nur eine Augenbraue, “Dann können sie aber gleich gehen. Und brauchen nicht mehr wieder zu kommen.”
“Tja, das glaube ich nicht. Es ist mein gutes Recht in Elternzeit zu gehen. Sie können mich nicht davon abhalten.”
Ihrem Chef blieb der Mund offen stehen. Maeva nahm das als ein Ja und rauschte wieder aus dem Büro raus.
Ihre Ururgroßmutter hatte die ersten Schritte gemacht. Jetzt musste Maeva nur noch den Weg weiter gehen. Für Eve, für alle Frauen auf dieser Erde. Für alle, die keine Recht hatten und unterdrückt wurden. Sie würde kämpfen für all diese Frauen, wie auch ihre Ururgroßmutter gekämpft hatte.

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