Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Kristina Vasilevskaja, 18 Jahre
Das Licht ist perfekt, die Location: eine Saune im Paradies. Die einzigen ruckhaften Bewegungen kommen vom Fotografen. Seinem Mund entfahren Laute, einem Orgasmus gleich. „Oh ja, gut so..” „Mmmh, das ist perfekt” Sie erwidert nichts, nur die langsame Bewegung ihres Körpers in andere Postionen antwortet, während er den Blickwinkel ändert und das Klicken der Kamera sich überschlägt.
Februar 2019 in der Elle abgedruckt, eine Frau unter der Dusche, das Wasser rinnt tröpfchenweise ihren Körper hinab. Sie ist bildhübsch, mit dünnen Armen und dunklen Linien an den Flanken: Rippen hinter der makellosen Haut. Die Brust klebt am Rücken.
Was will mir dieses Bild jetzt sagen? Soll ich mir jetzt fett vorkommen? Soll ich denken, dass ich teurer Mode nicht würdig bin, wenn meine Knochen nicht aus der Haut herausstechen?
Tatsächlich, durchlebte ich eine Zeit, in der mein Becken herausstach und meine Rippen hervortraten, im Gegensatz zu meinem Busen und meinem Hintern. Mein Schlüsselbein zeigte sich deutlicher als mein Gesicht und meine Augen waren von blauvioletten Ringen umrandet. Ich wollte nicht dünn sein, weil meine beste Freundin schlank war. Ich wollte nicht abnehmen, weil die Models alle so begehrt und beliebt waren. Ein Bild, das mit einem Lebensstil verbunden ist – Was für ein Blödsinn, denke ich mir jetzt.
Verstohlen blättere ich durch die Seiten der zahlreichen Zeitschriften, blicke die Models mit ihrer schönen Haut und Eleganz an. Es ist nicht nur die Kleidung, die sie präsentieren – Sie verkörpern die Gesellschaft und deren Werte, allein durch sich, ihren Körper und ihren Ausdruck. Ich will nicht so sein, ich muss nicht so sein und doch ist da eine stille Botschaft: „Das ist die Schönheit, wie sie gesehen werden will. Wie sie nicht nur akzeptiert, sondern auch vergöttert wird.” Dann darf ich mich zeigen und gesehen werden. Was macht man nicht alles für das Glücklich sein und wenn es heißt, ein bisschen dürr zu sein – na und? Wenn man dafür beachtet und erfolgreich wird.
2018 und bei Germany’s Next Topmodel ist zum ersten Mal ein „normales” Mädchen im Finale. Fragt sich jetzt nur: Hat sie tatsächlich den Blick für nicht-magersüchtige Schönheit geschärft? Ich liebe die Kurven aus üppigem Busen mit wohlgeformtem Hintern und ausdrucksstarkem Gesicht. Solche Mädchen bekomme ich selten zu sehen, und wenn, dann sind sie sicher eigentlich Schauspielerinnen, eigentlich nicht in der Modebranche.
Ich verstehe nicht, warum dünne Models viel häufiger erscheinen, wenn doch alle an Gesundheit appellieren und normal „dicke” Menschen viel lieber auf Fotos sehen. Wie kann das Ideal den Zustand darstellen, den wir vermeiden wollen? Ich kenne so viele berühmte Frauen, die ganz sicher als dick abgestempelt würden, stattdessen werden sie überladen mit Fotoshootings. Ich glaube nicht daran, dass es nur am Status liegt. Wir sehen einfach Persönlichkeit. Da wo kein Körper ist, kann auch kein Platz für Persönlichkeit sein. Alle sagen, wir dürfen so nicht weitermachen, aber dünn bleiben sie noch immer. Oversize-Models gibt es doch auch. Ja, aber die Magersüchtigen gibt es noch immer – für wen? Wer profitiert davon? Ist ein leerer Blick jetzt das neue Schönheitsdeal?
In der normalen Welt, in der ich lebe, in der Stadt, in der ich Menschen sehe, gibt es nur einen sehr kleinen Anteil, der wirklich wie aus einem Modemagazin herausgeschnitten zu sein scheint. Davon sind wahrscheinlich die Hälfte magersüchtig. Allein in Deutschland liegen die Zahlen der Menschen (auch Männer) mit Magersucht zwischen 150 000 und 200 000, wobei viele von ihnen noch nicht einmal 20 Jahre alt sind . Diese Zahl steigt stetig an seit den letzten fünf Jahren.
Mag sein, dass Modezeitschriften nicht für jüngere Generationen publizieren, aber verschließen können sie denen die Augen nicht. Welche Auffassung wir entwickeln liegt in der Wiederholung, nicht nur in Glanzpapieren. Jeder Finger zeigt auf die soziale Medien: Wie ein Virus infizieren uns die Inhalte, Momentalverbreitung und die blinde Message wird tätowiert. Vielen Dank an alle, die ständig gegen den Barbiestrom posten. Unironisch, meine ich all die Aktivisten und Organisationen, die zeigen, wie viel Wert jede(r) Einzelne ist. Ich lese, nehme auf, doch es scheint nicht genug zu sein, um mich frei zu fühlen, in die Schwimmhalle zu gehen, am Strand schamlos in der Sonne zu baden. Wem will ich gefallen? Doch nur mir selbst, oder etwa nicht?
Sehe mich im Spiegel an, betrachte mich, inspiziere die Rundungen meines Körpers. Fragend blicke ich in meine Augen: Will ich so sein, wie die Mädchen vom Runaway? Ich will mich gut fühlen, aber verhilft mir nur der eine Weg zum Ziel? Ich lese von Selbstbestimmung, von der Freiheit, über seinen Körper zu entscheiden, ganz gleich, welche Bilder ich um mich herum sehe. Ich will keine Gleichgültigkeit, kein Non-caring-of-the-Body, dem ich auf der Straße zu begegnen scheine. Zwei Pole, der Bodybuilding- und Modelfigur Lechzenden und der McDonalds und Burger King Stammkunden – als gäbe es keine dritte Lösung zwischendrin. Gefangen in einer Welt aus eigenen Gedanken, die mir zuheucheln, ich sei doch schön, so wie ich bin, okay, so wie ich jetzt bin, ganz egal, wie oft ich das Fleisch zwischen meinen Fingern zusammenquetsche. Seufzen ist mein neues Atmen, denn ich bin schon alles leid. Genervt von mir selbst, denn ich kann es nicht ertragen, wenn die Persönlichkeit sich spaltet und entschließt, ich will so nicht sein, wieso kann ich mich nicht ändern, wieso klappt das alles nicht. Und ich mir dann selbst antworte, es sei doch ganz egal, wie dünn ich bin, ganz egal fürs glücklich sein und Leben ausleben. Das ist doch, was ich will und doch werde ich ständig vom Kurs gelenkt.
Wut und Hass regieren mich an manchen Tagen, ich könnte schreien, um mich werfen, ja was soll das alles hier, warum kann ich nicht einfach leben, so wie ich bin, ganz egal, wie fett ich bin. Da ist es wieder, ganz klar zu sehen.
Vielleicht bin ich jetzt Pessimist, wenn ich befürchte, dass es keine Wendung zum Wahren geben wird, obwohl doch die Entwicklung zum Körperkult der Mageren erfolgte. Ein simples liebevolles Anblicken seines Selbst, die Akzeptanz, dass Schönheit nicht auf eine Körperform fixiert ist, das ist wohl ein Wunsch und gleichzeitig Utopie.
Autorin / Autor: Kristina Vasilevskaja, 18 Jahre - Stand: Kristina Vasilevskaja, 18 Jahre