Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Mascha, 18 Jahre
Als du den kleinen Jungen auf den Stuhl hebst, beobachte ich dich fasziniert. Die Art und Weise, wie du in dieser fast banalen Situation aufzublühen scheinst, zieht mich in ihren Bann.
Das Lachen in deinem Gesicht ist so echt, so unberührt ...
„Hier hin?“, fragst du den Kleinen. Deine Stimme klingt ausgelassen. Fröhlich.
Er will doch lieber nicht auf dem Stuhl sitzen und du stellst ihn wieder auf die Füße.
Da steht er, auf seinen eigenen kurzen Beinen, und beginnt kurz darauf unseren Raum zu erkunden. Er testet, was er mit welchen Dingen anstellen kann, wackelt probehalber an jedem einzelnen Stuhl und Hocker, um herauszufinden, ob es einer von denen ist, die sich drehen lassen.
Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Angst, etwas zu verpassen.
Ich schaue ihm zu, wie er sich seinen Weg um den Tisch herum sucht.
Plötzlich muss ich daran denken, wie er wohl wird, wenn er einmal groß ist. Ich glaube, er wird ein netter Junge. Er sieht so aus.
Seine eigenen kleinen Beine tragen ihn weiter um den Tisch. „Der dreht sich auch nicht“, sagst du lachend, als er am nächsten Hocker wackelt. Ich hebe den Blick.
Es gibt so viel, das du nicht weißt, denke ich, so viel, das ich dir gern sagen würde. So viel, das ich dir nicht sagen kann. Vielleicht nie.
In diesem Moment, in unserem Raum, bin ich glücklich wie seit Langem nicht.
Du weißt es nicht, aber zu sehen, wie unbefangen du mit diesem kleinen Jungen spielst, dessen Namen ich nicht einmal kenne, dessen Zukunft wir beide nicht kennen, erfüllt mich mit einer unerklärlichen Zuversicht: Hoffnung. Es gibt sie wirklich.
Manchmal suchen wir sie vergeblich, häufig sogar, und dann zeigt sie sich ganz unerwartet. Mitten im Leben zwischen all den Strömen und Wirbeln und Orkanen, die dich tagtäglich umzureißen drohen, taucht sie plötzlich auf wie ein Lichtschein, der dein Herz von innen heraus wärmt.
Er füllt es aus und fließt durch deine Adern, bis in unserem ganzen Körper ein warmes Feuer brennt. Um Hoffnung zu spüren, muss du nicht verzweifelt sein. Auch Hoffnung ist Menschlichkeit. Menschlichkeit ist Schmerz und Hass und Neid und Tod, aber Menschlichkeit ist auch Hoffnung.
Sie lässt dich aufstehen und weitergehen, wenn dein Körper nicht mehr weiter kann. Sie wärmt dein Herz, wenn die Kälte sich in deine Adern frisst. Hoffnung hält die Menschen für dich fest, die du am meisten brauchst. Über Hoffnung kann man eigentlich nicht schreiben, das ist wie mit der Liebe. Vielleicht, weil sie nicht erklärt werden kann. Nicht erklärt werden will.
Ein höchst eigenwilliges Ding, diese Hoffnung. Sie ist da und fort zur selben Zeit.
Und ganz wenige Menschen besitzen die Gabe, sie nach außen zu tragen, sie für andere sichtbar zu machen.
Ich möchte auch so ein Mensch sein. Ich möchte lernen, für die anderen Mensch zu sein. Ich möchte lernen, wie das geht und ich möchte dich fragen, ob du mir das beibringst. Denn ich möchte für dich Mensch sein und für den kleinen Jungen. Ich möchte noch für so viele mehr Mensch sein, aber ich weiß, dass ich beim Grashalm anfangen muss, bevor ein Baum wachsen kann.
Denn so ist das mit der Hoffnung: sie kann als Funke entspringen und einen ganzen Wald zum Leuchten bringen.
Vielleicht muss ich dir genau das sagen. Vielleicht muss ich dir sagen, dass du in mir ein Licht entzündest, weil du mit diesem kleinen Jungen spielst.
Ich weiß, dass ich damit warten werde. Dass ich warten werde, bis ich mich stark genug fühle, um aufzustehen und den ersten Schritt zu gehen.
Und bis es so weit ist, können noch Monate, Jahre, vielleicht mehr Zeit vergehen.
In dieser Zeit werde ich dem kleinen Jungen, den ich nicht kenne, beim Großwerden zusehen. Zusehen, wie er in unseren Raum zurückkehrt, auch wenn das schon bald nicht mehr unser Raum sein wird.
Auch ich werde wachsen müssen. An mir selbst, an dir, an dem kleinen Jungen. Ich werde von anderen lernen, wie ihre Art der Hoffnung geht. Ich werde lernen, wie die Hoffnung an manchen Orten stirbt und mich allein in der Kälte zurücklässt.
Ich werde Angst haben, allein in der Dunkelheit. Ich werde zittern und mich fürchten und mir ein Licht herbeisehnen. Irgendwann werde ich dein Licht finden. Deines und das von dem Jungen.
Dann werde ich den ersten Schritt machen.
Und wenn ich diesen ersten Schritt mache, werde ich wieder den Blick heben und dich ansehen und den kleinen Jungen.
Und ich werde wissen: Das ist es mir wert.
Du bist es mir wert.
Er ist es mir wert.
Denn Menschlichkeit unterscheidet nicht. Hoffnung unterscheidet nicht. Hoffnung hält zusammen.