Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Mara M., 15 Jahre
„Da vorne ist schon die Schule“.
Lia seufzt. Dabei hat sie sich bemüht den ganzen Schulweg über extra langsam zu laufen. Hektisch dreht sie an den Bändeln ihrer Lieblingspullis herum. Er ist grün und sehr dünn, weswegen sie ihn sogar an so einem heißen Sommertag tragen kann. Lia ist wahnsinnig nervös. Heute wollen nämlich alle Mädchen ihrer Stufe gegen die neue Kleiderordnung protestieren. Vor einigen Tagen hat der Direktor alle Schüler in die Aula beordert, was ihr ziemlich seltsam vorgekommen war. Schließlich war das Schuljahr noch lange nicht zu Ende gewesen. Genau genommen war es gerade erst Sommer geworden. Ein unglaublich heißer Sommer, wie Lia fand. Sie versuchte sich an die genauen Worte des Direx zu erinnern. Nachdem er bekannt gegeben hatte, dass in Zukunft sowohl kurze Röcke und Hosen, bauchfreie oder schulterfreie Oberteile als auch T-Shirts mit jeglichem Aufdruck - ausgenommen von den Schul-T-Shirts natürlich - verboten waren, lugte er streng über den Rand seiner Eulenbrille hinweg.
“Damit wollen wir insbesondere unsere werten Schülerinnen ermahnen, nicht zu aufreizende Kleidung zu tragen“
Die stellvertretende Direktorin, die während der gesamten Ansprache stumm neben ihm gestanden hatte, nickte dann so energisch mit dem Kopf, dass Lia meinte, er würde ihr gleich von den Schultern fallen.
„Aufreizende Kleidung?“, Lia hätte nicht einmal im Traum daran gedacht, dass dies der Grund für den plötzlichen Dresscode gewesen sein könnte. Aber die vielen Ereignisse, die sich in den Wochen danach zutrugen, ließen sie diese Worte nicht mehr vergessen. Viele Mädchen wurden ermahnt und zum Nachsitzen verdonnert, wenn sie „zu kurze“ Kleidung trugen. Lia`s Mathe Lehrer, den sie noch nie leiden konnte, warf ihrer Freundin sogar vor, „die Konzentration der Jungen zu stören“. Irgendwann entschieden sich die Mädchen also dafür, zu protestieren. Sie machten aus, Schilder zu basteln und alle ein kurzes verbotenes Kleidungsstück zu tragen. Das Problem war nur, dass Lia selbst in ihrer Freizeit nie bauchfreie Oberteile oder kurze Hosen trug, weil sie sich in ihnen einfach nicht wohlfühlte. Daher trägt sie auch heute eine dreiviertel Hose und ihren leichten Pulli.
„Ich hoffe sie lassen mich trotzdem mitmachen“, denkt Lia als sie sich der Gruppe nähert, die sich schon vor dem Haupttor versammelt hat. Schließlich ist sie auch der Meinung, dass alle sich so anziehen dürfen sollen, wie sie möchten.
„Was soll das denn, Lia?“, herrscht Simone aus ihrer Klasse sie an.
“Warum trägst du einen Pulli?“
„I-Ich also-“, stammelt Lia.
„Wir hatte doch ausgemacht, dass jede ein verbotenes Kleidungsstück trägt“, unterbricht Simone sie gleich.
„Ich dachte du wärst auf unsere Seite“, ruft jemand aus der Gruppe.
„Das ist total unfeministisch von dir!“, mischt sich Kathrin ein.
„Genau!“, tönt es von weiter hinten.
Von allen Seiten reden jetzt Mädchen auf Lia ein. Sie ist den Tränen nahe.
„Haben sie Recht? Bin ich wirklich eine Verräterin, nur weil ich solche Sachen nicht tragen will? Denken sie jetzt etwa, dass ich gegen sie bin?“, schießt es Lia durch den Kopf und sie muss sich auf die Lippe beißen, um nicht laut los zu heulen.
„Jetzt haltet mal alle die Luft an!“
Fünfzig Köpfe drehen sich in dieselbe Richtung. Es ist Zehra. Sie trägt wie immer ihr cremefarbenes Kopftuch. Dazu eine lange Jeans und ein T-Shirt. In der Hand hält sie ein Protestschild. Entschlossen tritt sie in die Mitte der Mädchen.
„Was machen wir hier?“, fragt sie ruhig.
„Ähm wir protestieren gegen die neue Kleiderordnung“, murmelt Simone verwirrt.
„Warum?“, fragt Zehra.
„Na weil die hauptsächlich gegen uns Mädchen geht und wir das tragen müssen, was uns die Schule sagt. Das ist total unfair!“
„Warum?“
Stille.
Erika ruckelt an ihrer Brille herum.
„Nun ja gewissermaßen verstößt das gegen das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung. Außerdem gibt es uns ein Gefühl, als ob wir nicht gleichberechtigt sind, weil eigentlich nur wir bestraft werden.“
„Warum?“
„Mann Zehra, es geht einfach darum, dass wir selber entscheiden wollen, was wir tragen und was nicht!“, ruft Simone ärgerlich.
Auf einmal ist es so leise, dass Lia ihr eigenes Herz klopfen hört.
Zehra lächelt.
Simone wird knallrot und senkt den Kopf.
„Versteht ihr es jetzt?“- Zehra legt Lia einen Arm um die Schulter. Ihr fällt sofort ein Stein vom Herzen.
„Es geht nicht darum einen kurzen Rock oder einen langen Pullover zu tragen. Es geht einfach darum, wir selbst sein zu können!“
Die Gruppe bricht in Applaus aus.
„T`schuldigung Lia“, murmelt Simone zerknirscht und einige andere tun es ihr gleich.
„Also Mädels seid ihr bereit?“, ruft Zehra in die Gruppe.
„Jaa“, tönt es im Chor zurück.
Gerade als sich die ganze Truppe samt Protestschildern in die Schule begeben will, läuft ein Junge aus ihrer Stufe vorbei und mustert sie neugierig.
„Boah, dafür kriegt ihr garantiert einen Schulverweis“, sagt er laut.
Lia und Zehra grinsen sich an.
„Das ist es uns wert!“