Stopp mit den Klischees!
Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Jana Baier, 19 Jahre
Als mein Name aufgerufen wird, atme ich tief durch. Mit zugegebenermaßen etwas zittrigen Beinen stehe ich von meinem Sitz auf und gehe vorsichtig die Treppenstufen hinauf, um ja nicht zu stolpern und mich zu blamieren. Ich bin nervös, und wie. Aber ich will das hier, ich weiß schließlich, wofür ich mich einsetze. Am Rednerpult angekommen, spielen sich in meinen Gedanken in Sekundenschnelle die Momente meines Lebens ab, die mich diese Entscheidung treffen ließen.
Es begann schon im Kindergarten. Ich hatte die ersten paar Jahre meines Lebens damit verbracht, meinem großen Bruder beim Fußballspielen zuzusehen, und damals wollte ich es endlich selbst einmal ausprobieren. Meine Mutter fuhr mich also zum Sportplatz und stellte mich dem Trainer vor. Ich war das einzige Mädchen in der Mannschaft. Und so fühlte ich mich auch. Die anderen Jungen redeten nicht wirklich viel mit mir und da es mein erstes Training war, war ich auch nicht wirklich gut. Ich fühlte mich also unwohl und total ausgeschlossen, als würde ich nicht dorthin, auf diesen Fußballplatz gehören. Es blieb bei einem Training. Stattdessen trat ich mit ein paar Freundinnen einem Turnverein bei.
Ein weiterer Unterschied zwischen meinem Bruder und mir war unser Spielzeug. Ich bekam Puppen, ein rosa Barbie-Haus und Schleich-Pferde. Nicht, dass ich mir diese Sachen damals nicht gewünscht hätte, denn das habe ich. Aber ebenso gern habe ich mit den Teddys, der Autorennbahn und der Playmobil-Ritterburg meines Bruders gespielt, während wir Fußball-Hörspiele angehört haben. Diese Dinge wünschte ich mir jedoch nie. So etwas besaßen nur Jungs.
Meine Mutter liebte es, mir Kleider und Röcke anzuziehen. In der Grundschule hörte das allerdings auf, denn ich wurde beim Spielen draußen genauso dreckig wie mein Bruder und liebte es, mit meinen Freunden in Bäumen zu klettern und dort Verstecke zu bauen. Heutzutage danke ich der mutigen Frau, die irgendwann im Laufe der Geschichte das erste Mal als Frau eine Hose getragen hat und vermutlich von der Gesellschaft verpönt wurde. Denn heute ist es fast überall auf der Welt völlig normal.
Als ich älter wurde und aufs Gymnasium ging, bekam ich mein erstes Schmink-Set und die ersten Bücher über hübsche Flechtfrisuren zu meinem Geburtstag und Weihnachten geschenkt. Ich probierte zwei- oder dreimal, mich zu schminken, sah aber aus wie ein Clown und ließ es dann sein. Die Frisurenbücher verstaubten in irgendeiner Ecke meines Bücherregals. Zu dieser Zeit bekam ich auch immer öfter den Satz „Das ist aber nicht ladylike“ zu hören, nach dem ich immer klarstellen musste, dass ich ganz bestimmt keine „Lady“ sein möchte. Damals wurde mir klar, dass von Mädchen und Jungs wohl verschiedene Manieren erwartet wurden.
Eine andere Erwartung gibt es wohl auch in Sachen Hausarbeit. Während meine Mutter versuchte, mir kochen, Wäsche waschen und putzen beizubringen, musste mein Bruder nur die Treppe fegen oder die Spülmaschine ausräumen. Aber vielleicht hatte sie bei seinem Sturkopf auch nur aufgegeben. Allerdings war ich auch ziemlich stur.
Diese Momente sind der Grund, warum ich heute hier bin und auch, warum ich die Person geworden bin, die ich heute bin. Eine lange Zeit meines Lebens wusste ich noch nicht, was ich später einmal werden will. Aber heute weiß ich es. Als Politikerin will ich mich für die Gleichberechtigung der Frau in allen Lebensbereichen einsetzen. Aber nicht nur. Ich möchte die Rechte aller Menschen vertreten, vor allem für die, die es selbst nicht können. Jeder Mensch verdient die Freiheit, so zu sein, wie er sein möchte. Mädchen sollen Fußball spielen und Jungs sollen Ballett tanzen können, ohne komisch angeschaut zu werden. Junge Mädchen sollen nicht nur rosa und Jungs blaue Dinge geschenkt bekommen, denn Farben haben kein Geschlecht. Jeder Mensch sollte außerdem das anziehen, was er möchte.
Mit meinen Gedanken bei der mutigen Frau, die das erste Mal Hosen trug, hole ich ein letztes Mal tief Luft und beginne meine Rede, um endlich diese verdammten Klischees zu beenden.