Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Lau, 20 Jahre
Respekt und Solidarität sind seltene Tugenden geworden, nur Worte, die irgendwo in eine politische Richtung geschwappt sind und dort als Wahlsprüche herhalten müssen. Die Situation birgt Ungewissheit, und Ungewissheit macht die Menschen passiv-aggressiv. Aus diesem Grund möchte ich reflektieren, was ich aus allen möglichen sozialen Umfeldern als innovativen Ansatz zum respektvollen, solidarischen Umgang mitnehmen konnte. Hier eine praktische Hilfestellung für alle, die sie benötigen:
Feminismus ist ein gefährliches Wort, noch schlimmer: Frauenrechte. Frauen und Männer sind vor dem Gesetz gleich, so steht es im Grundgesetz. Wenn also eine junge Frau - aus Indien in diesem Fall – eine Rede auf Instagram postet, in der sie beschreibt, wie es in ihrer Kultur unmöglich ist, nach Anbruch der Dunkelheit noch aus dem Haus zu gehen, und wie auch tagsüber die Kleidung (der Frau) der Legitimation einer Vergewaltigung dient, was kommentiert man dann als solidarischer, respektvoller und gebildeter Mensch? Genau: „Hört auf zu heulen, denkt ihr etwa, Männern wird nicht an den Penis gefasst?“ Wir signalisieren damit, dass wir uns solidarisieren, denn wir leiden schließlich auch. Das bringt uns zwar konstruktiv nicht voran, weil es den Zweck des ursprünglichen Posts aufheben soll, aber es klingt nach empathischem Zusammenhalt und Verständnis.
In einem anderen Beispiel formuliert jemand, dass er sich durch den Begriff „Zigeuner“ angegriffen fühlt. Wie reagieren wir? Fragen wir nach, warum, um mehr über die Herkunft und Bedeutung des Begriffes zu erfahren? Natürlich nicht. Wir sagen, den Mund voll mit Schnitzel, „darf man hier überhaupt noch was sagen?“ Um der Einschränkung unserer Redefreiheit zusätzlichen Ausdruck zu verleihen, lässt sich gerne noch ein gegrunztes „Danke, Merkel“ hinzufügen.
Über einen Mann, der im Fernsehen in Tränen aufgelöst ist, sagen wir zu unseren Freunden, er sei schwul - alternativ wären auch die Begriffe „Schwuchtel“ oder das englische „gay“ passend. Seine Sexualität muss damit pauschal nichts zu tun haben, das Wort „Schwuchtel“ wirkt auch als solches als hilfreiche Warnung vor unangebrachten Annäherungsversuchen schwuler Bekannter und bekräftigt die eigene Männlichkeit. Aber Obacht: Einen rosa Pullover sollten Männer eher nicht tragen, wenn sie jemanden der Homosexualität bezichtigen.
Wenn sich Menschen für etwas einsetzen, sei es Umweltschutz oder Tierschutz oder (Chancen-)Gleichheit oder ein anderes (zu-)viel diskutiertes Pseudo-Problem ist das zwar in Ordnung, aber nur, solange sie es im Geheimen tun. Machen wir ihnen das deutlich durch persönliche Beleidigungen, um zu zeigen, dass wir ihre Aufdringlichkeit missbilligen.
Als letztes Beispiel das heikle Thema der Flüchtlingskrise. Es sind die mutigen Meinungen, die hier zählen. Meinungen wie: „Auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen, aber am Ende sind es die Flüchtlinge, die unsere Jobs haben, und dann seid ihr auch nicht mehr still!“. Ein solch selbstloser Einsatz von kontrovers wahrgenommenen Aussagen im Namen des Vaterlandes ist sinnvoll, um unsere geliebten Mitbürger vor Gefahren zu warnen und uns mit Ersteren – richtig, zu solidarisieren.
Ich könnte noch viele, viele weitere Beispiele nennen, aber dem gemeinen Bürger reicht meist eine schnelle, plausible Erklärung als Grundlage für sein Handeln, also soll es hierbei belassen werden.
Für alle, die sich schon Notizen machen, und für die das nun überraschend kommt: Ich meine das nicht ernst. Der unterschwellige Sarkasmus dieses Handbuchs gründet in einer wichtigen Beobachtung des Umgangs miteinander: Respekt bedeutet, zuzuhören. Zuzuhören bedeutet, Fortschritt zu erlauben - und unsere Gesellschaft lebt von Fortschritt. Wir erlauben die Verbesserung unserer Lebensbedingungen nicht, wenn wir uns selbst die Ohren und anderen den Mund zu halten. Wie trotzige Kinder, die ein Spielzeug nicht hergeben wollen. Warum kann eine Frau nicht sagen, dass etwas gegen Vergewaltigungen getan werden muss, ohne dass ihr wie automatisiert entgegen geworfen werden muss, dass es Männern auch schlecht geht? Es muss keine Schlammschlacht geben, wir müssen doch gar nicht gegeneinander ankämpfen. Den Instagram-Kommentar zu Beginn habe ich mir nicht ausgedacht, und er war leider nicht der einzige. Auch an den Rechten und Problemen der Männer, beispielsweise im Zusammenhang mit Sorgerecht von Vätern oder der Erwartungshaltung an ihre Männlichkeit, muss viel getan werden. Aber wann lernen wir, dass sich niemals etwas verändert, wenn wir von anderen erwarten, den Mund zu halten. Wenn sich alle mit beiden Händen krampfhaft die Ohren zudrücken und dabei sprechen, kann niemand etwas ändern. Wir sind zu gemütlich in unseren Meinungen, zu eingefahren in unseren Mustern. Aber offen zu bleiben und Gründe zu hören, Argumente, ohne uns angegriffen zu fühlen, würde uns gleichzeitig die Möglichkeit eröffnen, dasselbe von anderen erwarten zu können, und dieselbe Hilfe zu bekommen. Es bedeutet, Respekt zu zeigen und solidarisch zu sein. Es bedeutet, weiterzukommen. Wenn ihr also einen „Guide“ braucht (und ich glaube, den brauchen wir alle manchmal), dann nehmt diesen hier: Hört erstmal zu. Versucht, zu verstehen. Denkt darüber nach. Und wenn ihr dann noch zu dem Ergebnis kommt, schreiben zu müssen: „Hört auf zu heulen!“ - dann habt ihr möglicherweise etwas falsch gemacht.