Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Luisa Göde, 18 Jahre
Was willst du werden wenn du groß bist? Was ist dein größtes Ziel im Leben? Was ist dein Wunsch für die Zukunft? Dieselbe Frage in verschiedenen Variationen. Dieselbe Antwort in verschiedenen Variationen. Als Grundschülerin wollte ich, dass sich alle sich lieb haben. Als Jugendliche frei sein. Und jetzt? Was will ich jetzt? Mein hoffentlich zukünftiger Chef schaut mich eindringlich an. Auf die Frage, was ich tun würde, wenn es keine Grenzen gäbe, war ich nicht vorbereitet. So eine hoch philosophische Frage bekommt man eigentlich nie so einfach hingeworfen. Die weise Stimme eines alten Greises würde jetzt sagen, ich soll auf mein Bauchgefühl hören. Ich soll das sagen, was mir als Erstes in den Sinn kommt. Ich frage mich, ob ich das kann, antworten ohne nachzudenken. Man hat mir immer vorgeworfen, ich sei zu grübelnd, würde alles rauf und runter analysieren. Ich grabe meine Fingernägel in die Handfläche. Und schon wieder fließen meine Gedanken aus dem ruhigen Bächlein in den brodelnden Strudel. Fokus. Du willst diese Stelle. Also reiß dich jetzt zusammen und denk dir irgendeine kompetente, halbwegs ehrlich gemeinte Antwort aus. Was würde ich tun, wenn mich niemand zurückhalten würde. Wenn niemand mit dem erhobenen Zeigefinger winken würde. Wenn kein Teufelchen auf meiner Schulter sitzen würde, was mir mein gutes Gewissen nimmt. Wenn keine Mutter, kein bester Freund, keine Frauenzeitschrift, kein Kalenderspruch und keine Stimme Gottes eine ordentliche Fuhre Meinung dazugeben würde.
Ich glaube der wahre Grund, warum es mir so unvorstellbar schwerfällt, diese Frage zu beantworten, ist die Tatsache, dass ich Realistin bin und diese Frage könnte fantasievoller und verträumter gar nicht sein. Keine Grenzen? Hahaha. Ich behaupte, es war leichter die Grenze zwischen Ost-und Westdeutschland zu überqueren, als heutzutage all die Grenzen hinter sich zu lassen. Oder nicht? Ich behaupte, wenn man mich beauftragen würde, eine Liste mit allen möglichen Hindernissen zu machen, die mich von dem was ich wirklich machen will abhalten, würde mich das den Rest meines Lebens beschäftigen. Oder nicht? Und ich muss erwähnen, dass ich das nicht einfach so aus purer Ignoranz und dem Mangel an Willen oder Selbstvertrauen sage. Ich habe es versucht. Oft. Jeder der meinen Bücherschrank durchwühlt, denkt wahrscheinlich ich leide gerade an einer mittelschweren Lebenskrise. Selbsthilfebücher mit vielversprechenden Namen wie "Das ultimative Handbuch zum Glücklichsein“, "Der Leitfaden zum Erkennen deiner wahren Leidenschaft“, "Beruflicher Erfolg jenseits von Geschlechtergrenzen“. Ich gestehe, dass ich jedes dieser Bücher in die Hand genommen habe und dachte: "Jetzt wird sich dein Leben ändern, jetzt wirst du dich aus allen Schlingen befreien und endlich LEBEN, jetzt wird dieser unsichtbare Ballast von dir abfallen“. Mit diesem neuen Mut fange ich immer wieder Projekte an, die in mir diesen Funken auslösen. Wie bei einem Steigerungslauf fange ich vorsichtig an, werde dann immer enthusiastischer und nähere mich rasanter dem Ziel, aber anstatt abzuspringen und förmlich zu fliegen, knalle ich gegen eine Wand. Und aus was diese Wand besteht, kann sich wahrscheinlich jeder denken. Normen. Wie ich dieses Wort hasse. Jeder beschwert sich darüber, jeder hat eine Meinung dazu, aber keiner macht etwas.
Ich muss blinzeln, weil mir eine Schweißperle über mein perfekt geschminktes Gesicht ins Auge gelaufen ist und würde dem Geschäftsführer am liebsten sagen: Ich würde ihnen jetzt richtig die Meinung geigen. Ich würde ihnen in ihr schmieriges Gesicht sagen, dass ich, seit ich dieses Büro betreten habe, von ihnen herablassend behandelt worden bin. Nein, am Liebsten wäre ich gar nicht zu diesem Vorstellungsgespräch erschienen, weil ich diesen Job eigentlich gar nicht will. Ich hasse es, für Leute zu arbeiten, bei denen man zweimal überlegen muss, ob sie wirklich human sind oder schon neueste Robotermenschen im Probeverfahren. Am liebsten würde ich mich in das nächste Flugzeug setzen und zu irgendeinem Dschungelvolk fliegen, das von dem Rest der Welt nichts mitbekommt bzw. nicht mitbekommen will. Weil es sie einfach nicht interessiert. Doch ich tue es nicht. Ich sage es nicht. Der arme Kerl kann doch auch nichts dafür. Er wollte genauso wenig wie alle anderen in dieses Pokerspiel hineingeraten. Auch er wurde wie ein Stück Lehm geformt. Brust raus, Bauch rein; "Wenn du jetzt ganz lieb bist und nicht heulst, bekommst du nachher eine Belohnung“; "Das Leben ist kein Zuckerschlecken“; "Männer zeigen keine Gefühle“; "Harte Arbeit wird belohnt“.
Ich halte inne. Es ist natürlich sehr leicht für mich die Gesellschaft, die Erziehung und die bösen Normen zu beschuldigen. Aber was ist, wenn ich ich willensstark wär, und ich meine diese wahrhaftige Willensstärke. Wenn ich diese Wand aus dem Weg schieben würde. Wenn ich dieses Gefühl der Angst in mir zum Schweigen bringen würde. Wenn ich allen Leuten, die mich zweifeln lassen, den Rücken zukehren würde. Wie die Titelfigur, die am Ende des Films erhobenen Hauptes aus der Schlachtszene herausschreitet. Ich denke zurück.
Als Grundschülerin wollte ich, dass alle sich lieb haben. Als Jugendliche frei sein. Glücklichsein. Erfolgreich sein. Dieselbe Antwort in verschiedenen Variationen auf dieselbe Frage in verschiedenen Variationen. Was ich tun würde, wenn es keine Grenzen gäbe?
Mein ganzer Körper richtet sich auf, als würde mich ein Blitz durchschießen und ich schaue meinem Gegenüber tief in die Augen. "Ich kann Ihnen diese Frage leider nicht beantworten, denn es gibt noch zu viele Grenzen, doch das wird sich jetzt ändern“. Damit stehe ich auf und gehe. Ich schwöre mir, dass ich diese Grenzen finden werde, denn versteckt, sind sie ja nicht gerade. Ich werde mich ihnen gegenüberstellen und mit ihnen ganz diplomatisch aushandeln, dass sie sich doch bitte woandershin verziehen sollen. Wenn das nicht klappt, bin ich auch für etwas unkonventionelle Methoden zu haben. Machst du mit?