Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Lisa Meyer, 25 Jahre
Die längste Zeit meines Lebens belächelte ich die Menschen mit Glauben an eine höhere Macht. Ich verstand die Bibel nicht und selbst die Kirche erschien mir fragwürdig. Wieso ist es bedeutsam, dass Moses das Wasser teilte? Wieso tauft man Kinder nicht einfach zuhause über dem Waschbecken, wo doch das Wasser in der Kirche ebenfalls aus einem handelsüblichen Wasserhahn stammt?
Weil man an etwas glaubt.
Der Glaube versetzt Berge, erzählte man mir als Kind. Wenn du nur tüchtig genug glaubst, dann wird es geschehen. Doch das einzige wirklich eindeutige Resultat von Glaube war für mich bislang unendliches Leid durch Kriege und Anfeindungen.
Dabei sollte der einzige Sinn und Zweck doch die Förderung der Gemeinschaft und das Fernbleiben von psychischen Erkrankungen sein, ausgelöst durch die dumpfe Sinnlosigkeit von allem. Eine Sinnlosigkeit, die man nur durch Glauben an eine höhere Sache überdecken kann. Er dient als eine Art Leitfaden, ähnlich wie Weight Watchers. Man muss aufpassen, dass man seinem Glauben treu bleibt, ansonsten kommt man nicht voran.
Er ist individuell, weshalb es immer zu Spannungen zwischen Menschen kommt, da diese eine Gefahr für die eigenen Überzeugungen sind. Was, wenn der Glaube des Gegenübers mehr Sinn macht als der eigene? Muss ich alle Brücken abreißen? War jede religiöse Erkenntnis bisher Lug und Trug und meine Glaubensgemeinde ein Haufen Ketzer?
Existenzkrise, Verdammnis, Verzweiflung, Burn-Out, Game-Over.
Diesen Zuständen versucht man natürlich vorzubeugen, indem man die Verbreitung seines Glaubens in der Welt stärkt, durch Anhänger, Mythen, prunkvollen Kirchen und Palästen. Den eigenen Überzeugungen wird Ausdruck verliehen. Er nimmt andere für sich ein und so kann man sicher sein, dass der eigene Glaube ein festes Standbein in unserer Welt hat.
Und wieder dieser Gedanke, dass die Menschen sich selbst doch nur etwas vormachen.
In Wirklichkeit ist es doch nur die Angst vor dem Ungewissen. Die Menschen fürchten sich vor dem Tod und was danach folgen könnte. Sie fürchten sich vor einem Gericht nach ihrem Ableben, welches ihre Guten und schlechten Taten begutachtet und dann über Hölle und Himmel entscheidet. Dem Ungewissen will sich niemand kampflos ausliefern, doch mit Hilfe eines Leitfadens wie der Bibel kann man versuchen, sich nach bestimmten Richtlinien zu verhalten und so eventuell ewiger Verdammnis und der Angst vor dieser zu entgehen. Wahnsinn wird bekämpft. Das Leben bekommt einen Sinn und man hat das Gefühl Kontrolle über sein Leben zu haben. Mehr ist es am Ende nicht.
Doch das sind alles Dinge, die so schon hinterfragt wurden. Es sind Ideen auf die schon Jugendliche gekommen sind. Und dennoch gibt es die Religionen in Deutschland immer noch. Es treten viele Menschen aus der Kirche aus, aber dennoch nicht alle. Es gibt weiterhin Millionen junge Menschen, die in unserer aufgeklärten Welt ihr Heil in der Kirche, Moschee, Synagoge oder sonst wo suchen und es dort sogar finden! Ich kann nicht glauben, dass sie alle nur versuchen, Erwartungen ihrer Familie zu genügen oder Angst vor dem Tod haben. Es wird sicherlich einigen so gehen, aber was ist mit dem Rest? Warum können Sie dort ihr Glück finden? Warum quälen sie diese existenziellen Fragen nicht?
Was ist mit den anderen Religionen? Sind diese im Unrecht? Haben sich nicht nur ganz normale Menschen diese Dinge ausgedacht? Hasst mich meine Familie, wenn ich nicht glaube? Dienten Religionen nicht nur zur Unterdrückung von Menschen und insbesondere Frauen? Unterstütze ich die Unterdrückung von Frauen, wenn ich glaube? Soll ich bei jedem toten Kind, bei jeder vergewaltigten Frau denken: “Die Wege des Herrn sind unergründlich”? Muss ich Homosexualität verachten? Soll ich Gott für jeden Misserfolg und jede Grausamkeit, die ich erleiden muss danken, weil es irgendwann ja mal nicht so schlimm lief? Wenn ich nicht an Gott glaube, glaubt er wenigstens an mich?
Hätten wir nicht einfach die Bergpredigt nehmen und alles davor und danach wegstreichen können? Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, statt töte, was dir nicht in dein Weltbild passt. Warum hätte ich nicht in so einer Welt, in so einer Gesellschaft aufwachsen können? Ist alles, was Gut und Recht ist, dazu verdammt, zu verwelken und zu Grunde zu gehen?
Wie kann es Leute geben, die an diesen Fragen nicht zu Grunde gehen? Ich weiß, ich bin nicht die erste, die sie stellt, aber warum finde ich nirgendwo eine Antwort? Jeder kann in Deutschland glauben, woran er oder sie will, aber für diese Konsequenzen übernimmt niemand Verantwortung!
Vielleicht bekommt meine Existenz noch keinen Sinn durch Gott, aber ich will nicht länger dieser paradoxen Realität ausgesetzt sein. Eine Realität, in der Menschen glücklich sind, die sich nicht hinterfragen und Menschen glücklich sind, die sich selbst hinterfragen und schreckliche Antworten bekommen. Alle sind glücklich, nur ich nicht. Und das ist eine gottverdammte Sünde.
Hiob: 34:32
Lord teach me what I can´t see