Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Marie Julie Dietz, 12 Jahre
„Ich renne schneller und schneller. Ich höre Schüsse hinter mir, Menschen schreien. Schnell nehme ich die Hand meiner kleinen Schwester. Ich spüre ihre Angst. Ich habe auch Angst! Meine Hände zittern und meine Knie schlottern“. Plötzlich weckt mich meine Mutter auf. Ich sitze schweißgebadet im Bett und denke über meinen Traum nach, der sich vor über einem Jahr in Wirklichkeit abspielte. Wie ich aus Syrien geflüchtet bin. Jetzt lebe ich hier in Deutschland mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester. Wir wohnen in einer sehr kleinen Wohnung, mitten in einer großen Stadt. Heute beginnt ein neues Schuljahr für mich. In der Schule habe ich durch mein Aussehen und durch meine Herkunft keine Freunde und respektiert werde ich auch nicht. In Gedanken versunken laufe ich ins Bad, wo ich auch schon auf meine Schwester treffe. Sie hat die Flucht ziemlich schnell verkraftet. Ich glaube das liegt daran, dass sie jünger als ich ist. Auf dem Weg zur Schule gucken mich wie jeden Tag die Menschen schräg an. Dieses Ansehen bin ich leider schon gewohnt. Im Klassenzimmer setze ich mich ganz nach hinten. Keiner redet mit mir auch nur ein Wort, alle sehen mich nur an und urteilen über mich ohne mich auch nur ein bisschen zu kennen. Ich persönlich finde, man sollte nicht über andere Menschen urteilen, ohne sie zu kennen. Aber ich glaube, dass sehen die meisten anders. Durch den Satz „Guten Morgen, liebe Schüler!“ werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Meine Lehrerin kommt in die Klasse und schreibt einige Worte an die Tafel: „Referat über Herkunft oder Lieblingsland.“ Einer nach dem anderen wird gefragt, über welches Land er berichten will. Sie guckt mich freundlich an und fragt mich, ob ich nicht ein Vortrag über mein Herkunftsland halten möchte. Andere in der Klasse schauen mich angeekelt an und lachen leise, so dass es die Lehrerin gar nicht mitbekommt. Ich starre sie nur an und sage verlegen: „Ich, ich weiß nicht.“ In Gedanken überlege ich, ob das so eine gute Idee sei. Manche könnten mich auslachen oder blöde Kommentare von sich geben. Wieder werde ich durch die Stimme meiner Lehrerin aus meinen Gedanken gerissen: „Ihr habt alle noch bis morgen Zeit mir Bescheid zu sagen.“ Noch nie zuvor habe ich mich so über das Klingeln der Schulglocke gefreut, um dieser bedrückenden Situation zu entkommen. Auf dem Weg nach Hause kommen mir ein paar Klassenkameraden entgegen und machen einen großen Bogen um mich herum. Plötzlich ruft ein Junge namens Luke, der mich am wenigsten von allen leiden kann, mir noch hinterher: „Ach übrigens, ich glaube keiner aus der Klasse will etwas über dein dreckiges Land hören, also lass es lieber gleich!“ Ich gehe weiter und unterdrücke mir meine Tränen. Ich versuche einfach nicht daran zu denken. Zuhause angekommen fragt mich meine Mutter, wie der Tag in der Schule war, ich sage schnell: „Ganz gut!“ Sofort verschwinde ich in meinem Zimmer. Ich möchte ungern meine Mutter anlügen, aber ich möchte nicht, dass sie sich Gedanken machen muss. Ich lege mich aufs Bett und weiß nicht was ich machen soll. Ich möchte meiner Klasse gerne bewusst machen, wie es in einem von Krieg befallenen Land aussieht. Aber ich habe auch Angst vor der Reaktion der anderen. Sie könnten mich auslachen oder mich beschimpfen, denn ich bin anders. Aber es wäre doch langweilig, wenn jeder Mensch gleich wäre. Wie gerne ich jetzt gerade mit meinem Vater darüber reden würde. Er wusste früher schon immer eine Antwort auf alles. Doch jetzt ist er nicht mehr da. Ein Klopfen an der Tür versetzt meinen Gedanken ein Ende. Meine kleine Schwester kommt herein und legt sich neben mich. Ich blicke ihr in ihre fast schon schwarzen, aber doch so klaren Augen. Sie erzählt mir das erste Mal seit wir hier sind, wie es bei ihr in der Schule ist. Sie hat allen erzählt, was alles Schlimmes auf der Flucht passiert sei, und dass die anderen mit ihr bereits Freundschaften geschlossen haben. Schade, dass das bei uns nicht so einfach geht. Ich habe ihr zwar nichts erzählt, aber bei uns wird eher auf das Äußere Wert gelegt. Meine Schwester meint, dass sie mich öfters traurig gesehen habe und führt weiter fort: „Weißt du noch als Daddy zu uns gesagt hat, dass alles irgendwann besser wird?“„Natürlich, erinnere ich mich noch daran.“ Das erste Mal denke ich, dass meine Schwester meinem Vater sehr ähnelt. Eigentlich hat sie recht, dass ich etwas ändern kann, ich mich aber nicht traue. Mein Vater wäre sicher stolz auf mich und hätte mir Mut zugesprochen. Beim Abendessen erzähle ich von dem Referat und meine Mutter ist zwar sehr überrascht, aber trotzdem sehr stolz auf mich. Ich liege in meinem Bett und kann die ganze Nacht nicht schlafen. Ich komme auf die Idee, nach alten Fotos von Syrien und meiner Familie zu suchen. Das macht mich sehr glücklich und motiviert mich, dieses Referat zu halten. Am nächsten Morgen laufe ich total übermüdet zur Schule. Ich habe gestern Nacht fast kein Auge zu bekommen. In der Klasse schaue ich durch die verdreckten Fenster meiner Klasse und kaue vor Nervosität auf meinen Nägeln. Ich berichte meiner Lehrerin davon, dass ich mein Referat über Syrien halten werde. Die meisten aus meiner Klasse sind geschockt und kriegen kein Wort raus. Eine Woche später stehe ich jetzt vor der Klasse, am ganzen Körper zitternd halte ich das Referat. „Ich lebte glücklich mit meiner Familie in einer Wohnung und spielte jeden Tag mit meinen Freunden auf der Straße! Doch dann begann der Krieg. Als wir alle zusammen draußen waren fiel eine Bombe auf unser Haus. Wir hatten alle Riesenglück, dass wir nicht in dem Haus waren!“ ,berichtete ich. Ich fange an davon zu erzählen, wie wir geflüchtet sind und die meisten hören mir doch gezwungenermaßen zu. Aber man sieht allen an, dass sie es langweilig finden. Meine Stimme wird ein bisschen leiser und ich sage zitternd: „Als wir auf einem Boot saßen und über das Mittelmeer geflüchtet sind, ist das Boot gekentert. Mein Vater hat es nicht mehr an Land geschafft und ist ertrunken. Ich bin jeden Tag traurig darüber, was passiert ist.“ Stille. Die ganze Klasse schaut mich mitfühlend an. Ich bin fertig mit dem Vortrag. Meine Lehrerin fängt an zu klatschen und alle anderen überraschenderweise auch. Manche bedanken sich sogar bei mir und entgegnen mir, dass sie froh darüber sind, endlich zu wissen, wie gut es ihnen geht und dass sie sehr glücklich und dankbar darüber sein können, in einer Welt voller Frieden und Liebe leben zu können.