Über das Dürfen, das Sollen und so manch einen Menschen
Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Anika Radler, 19 Jahre
Die Bibel sagt:
Frauen sollen tüchtig sein.
Frauen sollen als Jungfrau in die Ehe gehen.
Frauen sollen nicht verhüten.
Frauen sollen nicht abtreiben.
Frauen sollen ihren Mann immer achten.
Frauen sollen sich um die Pflege der Kinder kümmern.
Frauen sollen sich ihren Ehemännern unterordnen.
Die Gesellschaft sagt:
Frauen sollen nett lächeln.
Frauen sollen liebenswert sein.
Frauen sollen süß sein.
Frauen sollen mitfühlend sein.
Frauen sollen schön sein.
Frauen sollen dünn sein.
Frauen sollen auf dümmliche Art schlau sein, um sich von so manch einem Mann noch die Welt erklären lassen zu können.
Frauen sollen nicht mit vielen Männer schlafen, das macht sie zu Schlampen.
Frauen sollen bescheiden sein, zu viel Selbstbewusstsein steht ihnen einfach nicht.
Frauen sollen nur so stark sein, dass ein nächstbester Mann noch stärker ist.
So manch ein Mann sagt:
Frauen sollen ihn befriedigen.
Frauen sollen genügsam sein.
Frauen sollen mit unbefriedigendem Sex zufrieden sein.
Frauen sollen doch bitte, bitte keine Feministen sein, es steht ihnen doch einfach nicht.
Frauen sollen sich nicht so aufführen, diese Rage macht sie doch einfach nur unattraktiv.
Denn,
sie dürfen doch wählen,
Frauen dürfen doch arbeiten,
Frauen dürfen doch selbstbestimmt sein.
Dürfen tun sie. Sie dürfen inzwischen. Sie dürfen seit gerade mal ein paar Jahrzenten, seit ein paar mickrigen Jahrzenten. Und selbst jetzt nur manche von ihnen. Und trotzdem, trotzdem sollen sie sich nicht so aufführen, sie sollen keine Feministen sein. Das steht ihnen nicht. Das macht sie nicht attraktiv. Die Möglichkeiten der Welt gehören seit Jahrhunderten, ja, seit Jahrtausenden den Männern und jetzt wo Frauen endlich soweit sind nach dem selben zu fragen, das sie schon immer hatten, sollen sie sich nicht so aufregen.
Ihr dürft doch jetzt wählen, ihr dürft doch jetzt die Pille nehmen, ihr dürft doch jetzt arbeiten, ihr dürft doch sogar abtreiben! Ihr dürft doch!
Dürfen tun wir viel, dürfen tun wir Gott sei dank, und endlich viel, in manchen Regionen, in anderen dürfen wir nichts. Und sollen, sollen tun wir nicht. Wir Frauen sollen immer genauso viel, dass wir so manch einen Mann dabei nicht übertreffen. Weil so manch ein Mann das scheinbar nicht erträgt. Ich wünsche mir nicht nur zu dürfen, sondern auch zu sollen. Ich wünsche mir, dass meine Tochter eines Tages gar nicht erst fragen muss, ob sie darf, ich wünsche mir, dass sie einfach machen kann. Alles machen kann.
Warum darf ich als Frau nicht fragen, ob ich das selbe sollen darf wie ein Mann? Warum darf ein Mann nicht fragen ob er das selbe dürfen soll wie eine Frau?
Die Gesellschaft sagt:
Männer sollen stark sein.
Männer sollen ihre Gefühle verstecken.
Männer sollen maskulin sein.
Männer sollen sexuelle Belästigung geil finden.
Männer sollen Gewalt gegen sich hinnehmen, sie sind doch stark.
Männer sollen sich für Gefühle rechtfertigen.
Männer sollen das große Geld verdienen.
Männer sollen nicht sensibel sein.
Männer sollen nicht feinfühlig sein.
So manch eine Frau sagt:
Männer sollen immer stark sein, schwäche macht sie so unattraktiv.
Männer sollen sie beschützen.
Männer sollen groß sein.
Männer sollen den ersten Schritt machen.
Männer sollen mutig sein.
Männer sollen sportlich sein.
Männer sollen erfolgreich sein.
Denn Männer dürfen doch schon immer alles, sie haben doch schon immer die Welt. Männer dürfen viel, aber sie sollen genauso viel nicht. Sie sollen keine Feministen sein, das ist doch nur etwas für Frauen.
Warum dürfen wir Frauen so weit sein, nach dem zu fragen, was die Männer haben?
Aber die Männer nicht nach dem, was wir Frauen haben?
Ich wünsche mir, dass mein Sohn eines Tages nicht seine Männlichkeit, sein Geschlecht, beweisen muss, sondern einfach nur Mensch sein darf.
Dass er einfach nur sein darf, einfach nur darf.
Ich wünsche mir, dass wir alle soweit sind, nach dem zu fragen, wonach andere nicht mehr zu fragen brauchen.
Dass wir alle soweit sind, beliebig zu sollen und frei zu dürfen.
Autorin / Autor: Anika Radler, 19 Jahre