Studie: Wenn wir Online-Artikel "liken" können, verbringen wir weniger Zeit damit, den Text tatsächlich zu lesen
Wie oft setzt ihr ein "Like" unter einen Post oder Online-Artikel, ohne dass ihr den Text wirklich gelesen habt? Tatsächlich passiert das häufiger als man sich das eingestehen will: Forscher_innen der Ohio State University stellten nämlich in einer kürzlich veröffntlichten Studie fest, dass Menschen etwa 7 Prozent weniger Zeit mit dem Lesen von Artikeln zu kontroversen Themen verbringen, wenn sie die Möglichkeit haben, ihm einen Daumen hoch oder runter zu geben. Dieser Effekt stellt sich offenbar besonders dann ein, wenn ein Artikel mit dem eigenen Standpunkt übereinstimmt.
*Der Versuchsaufbau*
An der Studie waren 235 College-Studierende beteiligt. Vor der Studie maßen die Forscher_innen ihre Ansichten zu vier kontroversen Themen: Abtreibung, Sozialleistungen, Waffenkontrolle und Antidiskriminierungsmaßnahmen. Anschließend wurden den Teilnehmer_innen vier Versionen einer für die Studie erstellten Nachrichtenwebsite gezeigt. Jede Webseite zeigte Überschriften und Anleser für vier Artikel, zwei mit einer konservativen und zwei mit einer liberalen Ausrichtung, auf die die Teilnehmer_innen klicken konnten, um die vollständigen Artikel zu lesen.
Zwei Versionen der Webseiten trugen den Hinweis "Zur Zeit ist die Stimmabgabe für dieses Thema aktiviert", und jeder Artikel besaß klickbare Abstimmungspfeile nach oben oder unten. Bei den beiden anderen Websites stand: "Zur Zeit ist die Stimmabgabe für dieses Thema deaktiviert". Die Versuchspersonen hatten dann drei Minuten Zeit, jede Website nach Belieben zu durchstöbern. Die Forscher maßen, wieviel Zeit die Proband_innen mit jeder Geschichte verbrachten und ob sie abstimmten, wenn sie die Gelegenheit dazu hatten.
Dabei stellte sich heraus, dass die Teilnehmer_innen generell mehr Zeit mit dem Lesen von Artikeln verbrachten, die mit ihren Meinungen übereinstimmten (etwa 1,5 Minuten) als mit gegensätzlichen Ansichten (weniger als eine Minute).
Konnten sie aber über Artikel abstimmen, schenkten sie ihnen etwa 12 Sekunden weniger Zeit, auch wenn sie ihrer Meinung entsprachen. Darüber hinaus stimmten sie auch über etwa 12 Prozent der Artikel ab, die sie gar nicht nicht zum Lesen ausgewählt hatten.
*Ein Klick und weg*
Am Ende des Experiments maßen die Forscher_innen nochmals die Ansichten der Proband_innen zu den vier Themen, um herauszufinden, ob sich ihre Einstellungen überhaupt geändert hatten. Dabei zeigte sich, dass sowohl beim Lesen eines Artikels, der der eigenen Haltung entspricht als auch beim lediglichen Abstimmen darüber die eigene Ansicht gestärkt wurde.
Die Abstimmungsmöglickeit war sogar mindestens genauso einflussreich wie die Lesezeit.
"Als sie die Möglichkeit hatten, über die Artikel abzustimmen, wurde ihre Haltung noch extremer, obwohl die Überschrift selbst nur einen begrenzten oder gar keinen Input lieferte. Sie befanden sich quasi in einem Echoraum", erklärt Silvia Knobloch-Westerwick, Professorin für Kommunikation an der Ohio State University. "Allein die Fähigkeit zu haben, einen Artikel zu liken, dem man zustimmte, reichte aus, um die eigene Haltung zu verstärken. Sie brauchten den Artikel nicht sorgfältig zu lesen, sie mussten nichts Neues lernen, aber sie fühlten sich mehr mit dem verbunden, was sie sowieso schon glaubten", ergänzt sie.
*Lenkt der Like-Button vom Inhalt ab?*
Verändert die Möglichkeit der Interaktion mit Online-Inhalten also unseren Nachrichtenkonsum, und wird er dadurch oberflächlichlicher? Studienleiter Daniel Sude: "Wenn die Leute darüber abstimmen, ob ihnen ein Artikel gefällt oder nicht, drücken sie sich selbst aus. Sie konzentrieren sich auf ihre eigenen Gedanken und weniger auf den Inhalt des Artikels". Die Leute reagierten lediglich auf die Artikel, ohne zu erfassen, was diese aussagen.
Die Forscher_innen sind überzeugt davon, dass es einen besseren Weg gebe, mit Online-Nachrichten zu interagieren. Ihr Tipp: "Klicken Sie nicht einfach auf den Like-Button. Lesen Sie den Artikel und hinterlassen Sie nachdenkliche Kommentare, die mehr als nur eine positive oder negative Bewertung sind. Sagen Sie, warum Ihnen der Artikel gefallen oder nicht gefallen hat. Die Art und Weise, wie wir uns ausdrücken, ist wichtig und kann die Art und Weise beeinflussen, wie wir über ein Thema denken.
Die Studie wurde kürzlich online in der Zeitschrift Computers in Human Behavior veröffentlicht.