Die Rose in der Konservendose
Einsendung von Jade L, 22 Jahre
Ich starrte auf die dickflüssige, lilafarbene Suppe auf meinem Löffel. Ich neigte ihn etwas und beobachtete, wie die drei Kidneybohnen vom rechten Löffelrand zum linken schwammen. Angeekelt schloss ich meine Augen und schob den Löffel zwischen meinen Lippen vorbei in meinen Mund. Eine Bohne berührte meine Zunge und ich übergab mich. Mitten in der Übergabe fiel mir ein, dass ich mich stoppen musste. Bis zur nächsten Austeilung waren es immerhin noch drei Tage und 16 Stunden und ich hatte nur noch einen Beutel von diesem Schnellkochreis und zwei Dosen Kidneybohnen.
Es war jede Woche dasselbe - rauf zum „schwarzen Platz“ und eine Marke rüberreichen. Dafür gibt`s genug zu futtern für eine ganze Woche, wenn man sich zurückhält – die Routine darf schließlich nicht fehlen, sonst schliefen die Menschen wieder ein. Beim letzten Mal kostete es uns die Marmelade, die Schokolade und sogar den Honig.
Wenn nun auch noch die „Notkartoffeln“ nicht mehr wachsen würden…
Das Klirren der leeren Kidneybohnendose holte mich zurück – sie war wohl runtergerollt – und ich schmiss sie in den verrosteten Mülleimer, neben der Parkbank auf der ich saß. Etwas zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Etwa... ein Lachen? Ich erblickte einen Jungen, der an der Hand seiner Mutter herumsprang und sich mit dem Schlamm der Pfützen bekleckerte. Er lachte laut. Sie lachte auch. Als ihr Blick mich traf, zwang ich mir ebenfalls ein Lächeln aufs Gesicht, was die Frau dazu bewegte sich mir zu nähern. Bedeutete ein Lächeln neuerdings etwa eine Einladung? Ich hoffte sie würde mich nicht nach meinem letzten Essen anbetteln.
Während sie sich näherte, schaute sie gar nicht hoch, sondern kramte irgendetwas aus ihrer Umhängetasche hervor… und reichte es mir. Eine zerdrückte, leichtverwelkte Rose, deren traurigen Blätter versuchten einander festzuhalten. Eines ließ los und segelt zur Erde, als sie mir die Blume reichte.
Es wurde warm auf meiner Wange und ich fasste mir an die warme Stelle und meine Finger waren nass. Weinte ich etwa?
„Die letzte Rose aus meinem Garten“, sagte sie, und lächelte, als würde sie mich ermutigen wollen. Sie ging weiter. Ich blieb zurück. Mit der letzten Rose aus ihrem Garten. Oder überhaupt? Ich fischte die Konserve wieder aus dem Müll und stellte die Rose in die leere Kidneydose. Sie hing zwar ein bisschen, aber es war der schönste Anblick, seit es keine Blumen mehr gab.
Autorin / Autor: Jade L, 22 Jahre