Sitzheizung an. Wir fuhren zu Fridays for Future in Neumünster. Ich selbst bin auch Autofahrer - logisch als Dorfkind, das nicht vereinsamen will. Heute setzte sich aber nicht meine Wenigkeit ans Steuer, sondern meine beste Freundin. Schön in der A-Klasse ihres Papis, schön alter Diesel. Im Kopf rappte die ganze Zeit Koljah vor sich hin:
„Nein, ich trete nicht auf Demos auf, weil Demos peinlich sind, ihr merkt, das musste klargestellt werden, ich hoffe, dass ich es mir endlich mit Allem verscherze.“
Ich finde Demos grundsätzlich auch peinlich. Ich erbärmlicher, unverantwortlicher Nihilist. Trotzdem hatte man mich irgendwie mitgequascht. Bestimmt hatte ich bekifft zugesagt.
Recht langsam fuhren wir also die Landstraßen längs. Panik und Benommenheit vom dämlichen, gestrigen THC-Abend. Sie zitterte, blickte fast alle vier Sekunden in den Rückspiegel. Ich war ebenfalls paranoid und schlecht gelaunt, ja nur aus Pflichtgefühl saß ich hier. Das Radio spielte nur Müll. Schließlich ergatterten wir doch noch einen Parkplatz am Bahnhof, wo auch die Demo starten sollte. Kurz vor knapp hatten wir es nochmal geschafft.
Angekommen und die mir bekannten Leute umarmend, beschloss ich erstmal, mir einen doppelten Espresso zu genehmigen, damit ich wieder zu irgendwas fähig sein könnte. Ich schlängelte mich durch dramatisch angemalte Grundschüler, Omas mit Fahrradhelm, Mittelstufenschüler, die mehr zum Schwänzen als zum Demonstrieren kamen, übereifrige Eltern mit Kinderwagen, politisierte Oberstufenschüler, ökologisch-bewusste Berufstätige und sonstige Menschen. Von Antifa, Gewerkschaftlern in Freizeithemden bis esoterischen Kirchenspinnern war alles da.
Endlich Espresso. Ich verzog das Gesicht wegen der Bitterkeit und genau das belebt.
Wie kam es dazu? Auf einmal war ich ganz vorne mit dem Transparent in der Hand, neben mir zwei Freunde und ein strammer Kommunist, der halbvermummt war. Jener ermahnte mich schon nach zweihundert Meter in deutscher Nörgler-Manier:
„Ey, du musst das höher halten…“
Die Musik war in Ordnung, dann wurden Parolen gegrölt. Ein blondes, kleines ADHS-Kind mit Geltungsdrang, schätzungsweise vierzehn, ließ uns teilhaben an seinem Stimmbruch. Er hieß Tjark-Tjorven; der Doppelname war Programm. Warum hatte man gerade diesen Keck in den VW-Bus gesteckt und ihm ein Mikro gegeben? Schrecklich. Er stimmte an, die Menge schrie nach, ein schrecklicher Kanon erklang:
„Kohlekonzerne, Kohlekonzerne,
Baggern in der Ferne, Baggern in der Ferne,
Zerstören unsere Umwelt, Zerstören unsere Umwelt,
Nur für einen Batzen Geld, nur für einen Batzen Geld,
Worin wir unsere Zukunft, Worin wir unsere Zukunft sehen,
Erneuerbare Energien, erneuerbare Energien.“
Dieser Keck, trotzdem gefiel es mir, rumzubrüllen, auch wenn ich es für schwachsinnig hielt. Das typische, euphorisierende Demogefühl.
„What do we want? Climate justice! And when do we want it? Now!“
Seine armen Stimmbänder. Ihm beim Leiden zuzusehen, besserte weiter meine Laune. Ich blickte nach hinten. So tausend waren wir bestimmt, was für Neumünster viel ist, wenn man bedenkt, dass die meisten wohl nach Kiel gefahren sind, was ästhetisch definitiv die bessere Wahl war, außer man steht auf hässliche, graue Kleinstädte, die einen Nachkriegseindruck machen.
Dann bogen wir ab. Vor uns plötzlich der NDR und andere Kamerateams.
„Mama, ich bin im Fernsehen“, schrie ich so laut und ironisch, wie möglich. Ich hatte Spaß. Ich alberte rum und unterhielt damit die Menschen um mich herum.
„Wo ist mein Demogeld?
Hoffentlich sieht man meine Adiletten auf den Bildern, Mama ist stolz…“
Ich trug tatsächlich Adiletten, dazu zwei Paar Socken (weil Herbst), Jeans und einen Windbreaker. Skeptisch hatte meine beste Freundin das Outfit am Morgen betrachtet:
„Wir laufen mehrere Kilometer, glaube nicht, dass das ideale Schuhwerk dafür ist…“
„Pff“, hatte ich snippisch geantwortet.
Mal wieder eine belebte Kreuzung. Die Polizei hält den Verkehr an, damit wir nicht überrollt werden. Mal wieder eine belebte Kreuzung, also gingen wir extra langsam. Hupen und genervte Blicke von Adipositas-Deutschen. Plötzlich hatte ich eine Vision. Ich sah einen Sinn in der Demo – nämlich Autofahrer nerven. Ich winkte immer noch schön provokant den hochroten Köpfen zu oder zeigte ganz konstruktiv den Daumen nach unten. Diese Genugtuung ist der Sinn. Retten wird es die Welt vermutlich nicht, aber es rettet meine Laune für die nächsten Stunden.
Amüsant war auch ein Starkbetrunkener, der spontan bei uns mitlief und an einer Ecke ein paar Nazis anpöbelte. Seine lallende Wutrede beendete er mit „Kinder an die Macht“. Hat Mao das nicht schon gemacht? Egal. Zumindest fiel ihm bei diesem eloquenten Ausruf seine Zigarettenschachtel auf den Boden. Eigentlich konnte er sich kaum auf den Beinen halten, aber da es um sein Lebenselixier ging, brachte er die nötigte Feinmotorik fürs Kippen-Zusammensammeln auf, ohne große Ausrutscher und war dabei erstaunlich schnell. Die Kippen drohten ja auch nass zu werden, da es zu nieseln angefangen hatte. Derweil pöbelten ihn die Nazis weiter an. Neumünster wird nicht ohne Grund „der Osten des Nordens“ genannt. Der Betrunkene zeigte ihnen den Finger. Sympathisch.
„Mama ich kann nicht mehr“, meckerte ein Kind neben mir. Legitime Aussage. Die Route war viel zu lang. In den Gesichtern sah man die Anstrengung. Vier Kilometer hatten wir bereits im Schneckentempo zurückgelegt, was ja nochmal anstrengender ist, als reguläres Schritttempo. Doch das Endziel – dieser komische Kaufhaustempel, wo auch irgendwelche Nazis ihren Tattoo-Shop haben und vom bürgerlichen Besitzer hofiert werden, war in Sicht. Hier sollte die Demo mit einer Kundgebung enden. Sieben Leute versuchten noch eine Sitzblockade, die Polizisten blieben gelassen. Nach fünf Minuten gaben die Revolutionäre auf, als Belohnung wurde auch auf eine Anzeige verzichtet. Das Ganze hörte ich auch nur im Nachhinein. Längst war ich von der Demo entflohen, denn die Abschlussrede vom ADHS-Aktivisten wollte ich nicht hören.