Kettenreaktion

Einsendung von Marlene T., 24 Jahre

Es war ein außerordentlich warmer Herbsttag, ich verfluchte es mich zum Joggen überredet zu haben. Ich blinzelte durch brennend salzige Tropfen und versuchte, mit eher bescheidenem Erfolg, den Passanten auszuweichen, die kopfschüttelnd und Zunge schnalzend an mir vorbei jagten. Als sich der Weg teilte, in einen asphaltierten mit reichlich menschlichen Hindernissen bestückten, und einen matschigen, womöglich mit pflanzlichen Hindernissen untersetzen Pfad, schlug ich kurz entschlossen eine Harke, wobei ich eine schwarz-bemäntelte Dame anrempelte, die schnaufend zu mir herumwirbelte. Schnell hopste ich glühenden Hauptes davon und spürte sogleich den schmatzenden Boden unter meinen Turnschuhen.
Es roch nach Erde und Moos. Ich strich mir zum gefühlt hundertsten Mal über die Lider.
Ich war umhüllt von sattem Gelb, glühendem Orange, strahlendem Grün. Die Sonnenstrahlen, die vereinzelt durch das Blätterdach traten, waren nun fast angenehm und der Schweiß perlte mittlerweile nur mehr in kleineren, wenn auch noch immer beachtlichen Mengen, von meinen Brauen ab, sodass ich meine Umgebung inspizieren konnte. Ich trabte so leichtfüßig wie man auf klebrigem Matsch eben traben kann und sah zu wie sanft die Blätter auf mich herab rieselten.
Ich näherte mich dem Flussbett und schaute auf das grüne Gewässer. Ein paar Äste schwammen darin, eine einsame grün-beköpfte Ente und eine grüne herrenlose Getränkedose.
Plötzlich tauchte etwas neben meinem Fuß im Wasser auf. Ich taumelte einen Schritt zurück. Erst ein Kopf, dann ein struppiger Körper zogen sich auf kleinen Händchen auf das Ufer. Ich erstarrte, und versuchte nicht zu atmen um das Tierchen nicht zu erschrecken. Aber der Biber schien sich nicht um mich zu kümmern. Er würdigte mich keinen Blickes als er gemächlich kaum eine Beinlänge entfernt von meinen Füßen and mir vorbeimarschierte, kurz im Dickicht verschwand und dann geschäftsmäßig mit einem krummen Ast zwischen seinen Beißern wieder neben mir ins Wasser schlüpfte. Ich schlug eine Hand über meine lächelnden Lippen und folgte ihm fasziniert mit meinen Augen, rühren wollte ich mich immer noch nicht.
10, 15, 20 mal schaute ich ihm zu wie er hin und her lief. Manchmal lief er schnurstracks und flink, seinem Unterfangen voll und ganz verschrieben. Und manchmal bummelte er etwas, zog eine extra Runde im Wasser, ließ sich etwas von der Strömung treiben, inspizierte eine Schnur von hellgrünen Algen und ließ sie prompt wieder fallen, als ob er sich besonnent hätte, wieder ans Werk zu müssen.
Der Damm wuchs und es wurde dämmrig und weil es jetzt doch etwas abgekühlt hatte, fröstelte ich. Schweren Herzens riss ich meinen Blick los „Tschüss Bieber, tschüss..“ , ich winkte ihm zu. Noch immer schmunzelte ich, als sich der Pfad wieder mit meinem ursprünglichen Weg verband. Doch bevor meine Sohle auf den harten Asphalt trat, war ich auf einmal umschlungen von einem Plastikband. „So ein…!“, stieß ich keuchend hervor als ich mich wütend versuchte zu entwirren und dabei nach vorne auf meine Handflächen stürzte, die ich auf dem harten Belag aufplatzen spürte.
„Was machen sie da?“ Ein neongelb-behüteter Mann kam mit finsteren Blick auf mich zu. „..Joggen“, stöhnte ich während ich mich beschwerlich aufhievte und versuchte mich von dem Plastik, das sich um meine Knöchel gewoben hatte zu befreien. „Da wird nicht gejoggt, haben sie die Absperrung beim Wegeingang nicht gesehen!“ „Da.War. Keine..“, begann ich noch immer auf einem Bein hüpfend und an meinem Knöchel zupfend. „Ja, wenn sie das Gleiche mit der gemacht haben wie mit dieser, dann stimmt das mittlerweile vielleicht sogar“, unterbrach er mich. „Das kann sehr gefährlich sein junger Mann, stellen Sie sich vor, sie wären da morgen herumgelaufen und ihnen fällt ein Baum auf den Kopf.“ Seine buschigen Augenbrauen berührten sich beinahe vor Missbilligung. „Wieso sollte mir ein Baum...“ „Ist ja auch egal“, fiel er mir schroff ins Wort. „Ab morgen kommt das ja dann alles weg.“ Ich hielt Inne und stellte meinen Fuß ab. „Wie weg? Was kommt weg?“ „Na das hier“, er winkte mit seinen Pranken nachlässig zum Grünstreifen hinter mir. Ich schluckte und schauderte. „Hotel“, er zuckte mit den Schultern, „irgendwas Teures... mehr weiß ich nicht. Unser Job ist morgen einfach mal mit dem Fällen anzufangen… Und wir müssten dann auch mal mit unseren Messungen anfangen wenn Sie so lieb wären und...“ Er machte eine ausladende Geste Richtung Straße. „Aber..“, ich räusperte mich, „aber der Biber...“ Ich spürte, wie meine Kehle immer enger wurde. „Was?“,bellte der Mann, seine Augenbrauen hatten mittlerweile den Weg zueinander gefunden. „Nichts.“ Ich riss das Plastik in einem Ruck von meinem Knöchel und rannte los, schneller als zuvor.
Unter der nächsten Brücke blieb ich stehen und holte mein Handy aus der Hosentasche. Ich öffnete meine Nachrichten und wählte „An alle Kontakte“ aus, und begann mit zittrigen, tauben Fingern zu tippen.

Gloria Huber startete den nächsten Morgen in ihrem Büro wie jeden Morgen in den letzten 20 Jahren seitdem sie für diese Bank arbeitete: Sie checkte die Kurse, tippte mit einer Hand ein paar dringende Emails, während sie mit der anderen eine Tasse bereits kalten Kaffe hielt, an dem sie unbeeindruckt nippte. Doch sie konnte sich nur schlecht konzentrieren, was war dieses Geschrei um 8 Uhr morgens? Sie machte zwei klappernde Schritte zum Fenster. Eine Kette von Menschen stand unten beim Fluss, sie hielte sich an den Händen und sprangen auf und ab. Sie hatten Plakate bemalt mit einer Art dicken Ratte darauf und schrien fürchterlich. Vor ihnen standen gelb gekleidete Männer, die sichtlich auf sie einzureden versuchten und ein metallener Bagger, dessen mechanischer Arm hungrig auf und ab schnappte, aber unmöglich an der Kette vorbeikam.Gloria nahm die Szene in sich auf. Dann zog sie entschlossen am Fenstergriff und lehnte sich hinaus. „SCHEISS. HIPPIES!“ Erleichtert knallte sie es zu und schloss die Jalousien. „So, jetzt aber wieder zurück an die Arbeit.“

Autorin / Autor: Marlene T., 24 Jahre