Ein Tropfen voller Zukunft
Einsendung von Carolin Mücke, 19 Jahre
Ich kann mich nicht mehr an den Tag erinnern, als das Leben noch schön war.
Was ich mit schön meine?
Ein Leben ist schön, wenn du genug Luft zum Atmen hast. Und es ist lange her, dass die Luft klar war.
Meine Finger schmerzen. Soeben habe ich mir meine vier Liter Wasser, die mir täglich zustehen, in der Stadtverwaltung abgeholt. Ich trage sie in wiederverwendbaren Kanistern zu mir nach Hause. Die Halteriemen sind schmal und schneiden sich in meine empfindliche Haut ein. Obwohl ich jeden Morgen aufs Neue losgehe, haben sich meine Hände immer noch nicht an das Prozedere gewöhnt.
Warum bin ich so schwach?
Die Sonne brennt auf meiner mit Schmutz überzogenen Haut. Ja, ich wasche mich, wenn einige kostbare Tropfen am Ende des Tages über bleiben. Es lohnt sich nicht, diese zu sammeln. Sie verdunsten in dieser elenden Hitze sowieso.
Mein Herz sehnt sich nach der Zeit, wo alles noch grün war. Damals war ich glücklich. Nun säumen die Überbleibsel von ausgetrockneten Stämmen den Wegesrand zu mir nach Hause.
Plötzlich bleibt mein Blick an braunen Augen hängen, die mich nicht loszulassen scheinen. Sofort erinnere ich mich an die vielen Berichte aus allen Regionen, die von Überfällen handeln. Die Menschen sind grausam geworden. Vielleicht waren sie es aber auch schon immer und haben sich früher mehr Mühe gegeben, es mit Spenden und anderen Wohltätigkeitsaktionen zu übermalen. Heute nutzen sie alle Wege, um ihr eigenes Leben zu sichern, auch wenn es deines kostet.
Ich versuche schneller zu laufen, um mich in meinen eigenen vier Wänden in Sicherheit zu bringen, doch spüre, wie er mir folgt. Langsam zieht sich mein Magen enger und enger zusammen. Jetzt renne ich.
Während ich die Treppenstufen empor sprinte, passiert es. Ich falle und mein linkes Knie fängt sofort an zu bluten. Langsam rinnt Tropfen um Tropfen an meinem Bein entlang. Mein eigenes, so wertvolles Wasser. Wasser? Wasser!
Es ist feucht unter mir, besser gesagt nass. Es ist eine Nässe wie ich sie nur von früher kenne. Hilflos sehe ich mit an, wie meine Kanister das Bluten mir gleich tun. Ich bin zu geschockt und kann mir nicht helfen. Über meine Wangen rollen salzige Tränen, die ich mir besser aufsparen sollte, um den bevorstehenden Tag nicht auszutrocknen. Aber ich kann mir einfach nicht helfen und sehe mit an, wie die Sonnenstrahlen die Tropfen verdunsten lässt.
Dann blicke ich wieder in braune Augen. Er nickt jedoch nur, und geht an mir vorbei. Meine innere Leere breitet sich nun auch in meinem Kopf aus. Warum hat er das getan? Die Menschen gehen sich größtenteils aus den Weg, Kontakt wird in jeglicher Form gemieden und er nickt mich an. Das kommt einer innigen Umarmung unter besten Freunden gleich. Ach so, ich rede natürlich wieder von früher. Heute kennt niemand mehr Freundschaft.
Und so kommt es, dass sich meine Leere in Einsamkeit verwandelt. Ich sehne mich nach einer Hand, die mir jetzt aufhilft, nach Worten, die mich zu trösten versuchen und nach Menschen, die mir das Gefühl schenken, dass in Zukunft alles besser sein wird.
Jetzt höre ich Schritte hinter mir. Die braunen Augen sind zurück gekommen. Ich habe mich meinem Schicksal bereits ergeben. Mir macht nichts mehr Angst.
Sein Blick ruht nun auf mir und zu meiner Überraschung öffnet er vorsichtig seine Lippen, um Klänge ertönen zu lassen. „Es tut mir leid zu sehen, dass du dein heutiges Wasser verloren hast. Hier hast du zwei meiner vier Liter. Dann sollten wir beide es über den heutigen Tag schaffen.“ Er stellt seinen Kanister neben mich und reicht seine Hand, um mir aufzuhelfen.
Autorin / Autor: Carolin Mücke, 19 Jahre