Ein Bericht

Einsendung von Marina Sigl, 24 Jahre

Januar.

In meinen Keller läuft das Wasser. Weicht den Fußboden auf, sickert in alle verstaubten Ritzen und pustet Feuchtigkeit meine Wände entlang in meine Atemluft. Gerümpel sinkt auf die alten Holzdielen nieder und schafft eine neue Unterwasserwelt.
Noch in derselben Woche demonstriere ich gegen die unangekündigte Flutung von Kellern.

Februar.

In meinem Keller ist der Wasserpegel gestiegen. Das Wasser ist jetzt knietief. Mit dem Wasser kommen die Algen und mit den Algen kommen die Fische. Vereinzelt schwimmen sie um alte Fahrradschläuche, die wie Muränen zwischen durchtränkten Pappkartons hin und her wischen.
Lena kommt zweimal die Woche vorbei und füttert die Fische. Chris gibt seinen Lieblingsfischen die Namen Nemo 1 bis 7. Nemo 6 verheddert sich eines Tages in der Plastikfüllung eines Pakets, dessen Inhalt ich bestellt und ungenutzt vergessen hatte.
Chris beginnt, in seinem Alltag Plastik zu reduzieren.

März.

In meinem Keller schwappt mir das Wasser nun bis zum Oberschenkel. Die Fische sind mittlerweile so zahlreich, dass wir ihnen keine Namen mehr geben können. Wasserpflanzen blühen auf und nachts hört man das leise Quaken von Fröschen.
Anna hat auch von den Fischen in meinem Keller gehört und macht einen Witz darüber, bald einen Sushi-Abend mit ihnen zu veranstalten. Lena macht ein böses Gesicht und bewirft Anna mit Fischfutter. Sie beschließt, kein Fleisch mehr zu essen.

April.

Das Wasser ist inzwischen hüfthoch. In meinem Keller wachsen nun seltene Wasserpflanzen, die in anderen aquatischen Lebensräumen vom Aussterben bedroht sind. Auch verschiedene Wasservögel haben in alten Kellerregalen Nisthöhlen gebaut. Erik beschließt, seine Masterarbeit in aquatischer Biologie über die Pflanzen zu schreiben.
Mein Vermieter hat vom Biotop in meinem Keller gehört und kassiert nun Eintritt für die Touristenattraktion. Schaulustige trampeln durch die Tümpel der Frösche und überfüttern die Enten mit Brot, das aufgeweicht und flockig den Pflanzen im Wasser ihr Licht nimmt.
Anna startet eine Kampagne zum bewussten Umgang mit der Umwelt.

Mai.

Das Wasser steht uns bis zur Brust. Mein Vermieter verpachtet mein Biotop an einen großen Tourismuskonzern. Sie befahren das Gebiet mit Motorbooten, die das Wasser durchpflügen, als sei es ihr Eigentum. Eines Tages findet Jan ein totes Entenküken, das in den Antrieb eines Bootes gekommen sein muss.
Auch er beschließt, vegetarisch zu leben.

Juni.

Der Wasserspiegel ist höher, als wir es für möglich gehalten haben. Auch große Tanker und Kreuzfahrtschiffe mit Urlaubern befahren nun das Wasser in meinem Keller. Mein Vermieter kauft sich einen Porsche.  Die seltenen Wasserpflanzen beginnen wieder auszusterben. Erik muss dreißig Seiten seiner Masterarbeit verwerfen und ein anderes Thema wählen.
Noch in derselben Woche laufen wir uns auf einer Demonstration über den Weg.

Juli.

Mein Vermieter investiert seinen Gewinn aus dem Erlebnis Kellerkreuzfahrt in weitere Stockwerke für unser Haus. Mit jedem weiteren Stockwerk, das geflutet wird, baut er ein neues Stockwerk für seine Bewohner.
Maike erkundet die Unterwasserwelt in einem Tauchgang. Sie entdeckt mehrere verendete Fische in Netzen aus Plastikverpackungen, wie sie auf dem Kreuzfahrtschiff verwendet werden. Andere Fische schnappen nach den durchsichtigen Folien in der Annahme, es sei Nahrung.
Maike beginnt, plastikfrei zu leben.

August.

Niklas nutzt meinen Keller für sein Schwimmtraining. Eines Tages erleidet ein Öltanker ein Schiffsunglück. Niklas lernt unfreiwillig schwimmen in Öl und stinkt noch wochenlang nach Frachter.
Er gründet eine Gruppe von Umweltaktivisten.

September.

Der Sommer ist vorbei, aber das Wasser in meinem Keller hört nicht auf zu steigen. Alle Bewohner leben nun hoch über meinem Biotop, um nicht die Schiffshörner zu hören und dem Wellengang zu entgehen, der das Fundament erschüttert.
Unsere Gruppe von Aktivisten besteht aus acht Freunden. Zwei von uns sind Vegetarier. Zwei von uns leben plastikfrei. Zwei von uns gehen regelmäßig auf Demonstrationen und zwei von uns sind nah an klimaneutral.

Oktober.

Ich bin ausgezogen. Weg von meinem reichen Vermieter mit seinem wasserunterlaufenen Haus – sein Porsche wird ihm auch nicht helfen, wenn Mutter Natur die tragenden Wände verwittert hat und jedes noch so neue Stockwerk von hoch oben ins Wasser fällt.

Meine Freunde und ich wohnen in einem Plusenergiehaus. Wir sitzen in der Küche über Rettungsplänen, großen Plänen, die hoffentlich groß genug sind. In zwei Monaten ist schon wieder ein Jahr vorbei, denke ich, als ich auf die Wanduhr schaue. Tick. Tock.