Gespannt und aufgeregt sitze ich an meinem Platz im Flugzeug. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich wurde in das Forschungsteam in der Antarktis aufgenommen. Mein größter Traum geht in Erfüllung. Aufgeregt tipple ich mit meinen Füßen, die in schwere, wasserdichte Stiefel gepackt waren, auf dem Boden der Maschine herum. Zum millionsten Mal schaue ich die anderen Forscher an, die sich mit mir auf den Weg in ein eisiges Abenteuer befinden. Mit zwei von ihnen habe ich meine Ausbildung abgeschlossen, alle anderen kenne ich nicht. Wir sind insgesamt zehn Personen. Zwei weitere Frauen und sieben Männer.
„Wir landen in Kürze. Bitte tragen Sie beim Ausstieg Ihre Schneeanzüge“, übertönt eine Durchsage des Piloten das Brummen der Triebwerke.
Hektisches Treiben beginnt, als jeder seinen knallroten Anzug und die dazugehörige Mütze sucht und anzieht. Kleine Namensschilder, an deren Seite die Flagge des Herkunftslandes abgebildet ist, halten uns auseinander. Das ist dringend notwendig, da alle in diesen Anzügen komplett gleich aussehen. Auf meinem steht: Rebecca Pelzer. Daneben ist eine deutsche Flagge abgebildet.
Die Tür der Inspektionsmaschine öffnet sich. Eisige Kälte schlägt uns allen entgegen und trotz meines Daunenanzuges friere ich. Wir sind genau vor der Forschungsstation gelandet, die aussieht wie ein Dorf aus Containern. Ich kneife die Augen wegen der ungewohnten Heiligkeit zusammen. Der orkanartige Wind reißt an uns als wolle er uns packen und davon tragen. Die anderen neun neuen Forscher und ich stapfen schweigend durch den hohen Schnee auf die Station zu.
Als ich in meiner zweiten Woche, in der ich nun schon auf der Station arbeite, in die Cafeteria komme, bemerke ich sofort die drückende Stimmung. Normalerweise ist es zur Frühstückszeit immer sehr laut und meine Kollegen unterhalten sich lachend in allen möglichen Sprachen. Heute ist das nicht so. Nur wenige, leise Stimmen sind zu hören. Alle schauen betreten auf ihr Frühstück. Was konnte passiert sein, dass alle so niedergeschlagen sind? Ich setzte mich neben Brad, einen Kollegen und Freund aus Schottland. „Was ist hier los?“, frage ich ihn. Brad schaut von seiner Kaffeetasse auf. „Es ist wieder ein riesengroßer Teil von einem der Gletscher gebrochen, und auch die neuen Messwerte haben ergeben, dass es viel, viel zu warm ist, und wir in den nächsten paar Jahrzehenten damit rechnen müssen, dass das komplette Eis am Südpol wegschmilzt.“ Diese Nachricht trifft mich wie eine Faust in den Magen. Klar wusste ich schon vorher, wie schlecht es um die südlichste Seite unsers Planeten steht, aber es immer und immer wieder zu hören, dass der einzige unerforschte Teil der Erde bald nicht mehr vorhanden sein würde, macht mich immer wieder traurig und wütend zugleich. Alle Tiere die hier leben würden sterben. Das ganze Eis würde wegschmelzen, und das alles nur, weil wir Menschen zu bequem sind, etwas dagegen zu unternehmen. Es wäre so einfach etwas für die Umwelt zu tun. Man könnte sein Bonbonpapier einfach in die Jackentasche stecken, statt auf den Boden zu werfen, wo Tiere es dann mit Futter verwechseln. Oder man könnte auf den Urlaub in Neuseeland verzichten und die freien Tage in einer Ferienwohnung in der Nähe verbringen.
Zwei Tage später befinde ich mich mit vier weiteren Kollegen in den knallroten Forscheranzügen vor der Station und helfe, zwei Schneemobile fertig zu machen. Wir haben den Auftrag bekommen für eine portugiesische Dokumentation Aufnahmen von einer Kaiserpinguin Kolonie zu machen. Es ist einer der extrem seltenen Momente, in denen ein paar Forscher nicht für wichtige Projekte gebraucht werden, und nicht ganz so wichtige Aufträge, wie Dokumentationsfilm Aufnahmen, ausführen können.
Der eisige Fahrtwind peitscht mir um die Ohren, sobald wir losgefahren sind. Ich unterdrücke den Drang, die Hände auszubreiten und wie ein kleines Kind zu lachen. Aber das wäre ziemlich peinlich. Also halte ich mich einfach nur fester an dem Schneemobil fest.
Wir steigen ca. zwanzig Meter vor einer riesigen Pinguin Kolonie von den Mobilen. Ich nehme eine der uns zugestellten Kameras und stapfe ein paar Meter näher an die Pinguine heran. Sie haben mich bemerkt und sehen mich aufmerksam an. Ich weiß, wenn ich näher herangehe, könnte es sein, dass die Vögel angreifen. Ich höre die vielen Stimmen der Tiere. Jedes von ihnen hat, wie wir Menschen, eine ganz eigene Stimme. Weiter hinten an der Küste liegen… drei Plastik Becher. Ich starre sie an wie eine Erscheinung. Das kann doch nicht sein. Nicht hier. Früher oder später wird einer der Pinguine einen solchen Becher mit etwas essbarem verwechseln und am Ende sterben. Ich tippe einem meiner Kollegen, welche schon das Film Equipment aufgebaut haben, auf die Schulter und zeige auf die Stelle, an der der Müll angeschwemmt wurde. Trotz der Schneebrille, die er trägt, erkenne ich, dass sich seine Augen entsetzt weiten. „Ich hebe das auf!“, sage ich und er nickt. Langsam, um nicht versehentlich auszurutschen, gehe ich nach vorne, greife nach den Bechern und stecke sie in meine linke Jackentasche.
Am nächsten Morgen versammeln sich alle Forscher in der Kantine. Heute würden wir zu einem Gletscher fahren, um Bodenproben zu entnehmen. Nur fünf Personen würden als Notfallpersonal auf der Station bleiben. Nach scheinbar endlosen Besprechungen fahren wir endlich los. Der Wind ist eiskalt, aber lange nicht so stark, wie er eigentlich hätte sein könnte. Ich blicke immer wieder nach links und rechts. Warum ich das tue, weiß ich selbst nicht so genau. Auf der linken Seite ist eine endlose Eiswüste, auf der rechten das Meer.
Es kracht. Verwirrt drehen sich einige der Forscher um. Andere halten sich die Ohren zu. Ich starre weiter nach vorne. Eismassen krachen mit ohrenbetäubendem Lärm nach unten. Immer größer wird der Teil, der sich vom Land löst und ins Wasser kracht. Wasser und Eis wird bis zu mir nach oben geschleudert. Es ist zu spät. Der Gletscher ist geschmolzen. Und andere werden folgen.