Frau Dorothea Krause, Geschäftsführerin eines des größten Unternehmens weltweit, professionelle Karrierefrau und Ordnungsfanatikerin durch und durch, zuckte nervös mit der (für Heinzelmännchen so typischen) kleinen Knubbelnase, zwischen den vor Stress rot befleckten Wangen. Eigentlich war Frau Krause dafür bekannt, selbst in den brenzligsten Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Berge aus Plastikbechern, Bierflaschen und Kondomen als Hinterlassenschaft eines Festivals? Pff, Ärmel hochkrempeln und los geht die Arbeit. Untergegangener Öltanker auf dem Pazifik? Kein Problem. Great Pacific Garbage Pach? Lasst uns die Herausforderung anpacken! Sie war nicht umsonst die Leiterin des weltweit größten Konzerns, der sich um die Reinigung der menschlichen Umweltverschmutzung kümmerte, denn sie besaß neben ihrem ausgeprägten Drang zur Ordnung und Sauberhaltung ihrer Umgebung (eine Eigenschaft, die jeder Heinzelmann besitzt, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung der Neigung), ein Talent für Organisation und Vernetzung. Eigenschaften, die auf einem riesigen Planeten, der knapp 8 Milliarden Menschen beherbergt, von denen jeder fast sekündlich seinen Müll irgendwo hinterließ, unabdingbar waren. Diese Karrierefrau war mit ihrem Nerven am Ende. Müde ließ sie die Stirn auf die blank polierte Platte ihres Schreibtisches sinken, schloss für einen kurzen Moment die Augen. Aber selbst in der herbeigeführten Dunkelheit fand sie keinen Frieden, da von draußen immer noch die wütenden Rufe ihrer Mitarbeiter an ihre Ohren drangen und diese zum Klingeln brachten. Ein zaghaftes Klopfen an ihrer Bürotür ließ sie hochfahren. Schnell strich sie ihren faltenfreien Blazer glatt, fuhr sich über den blonden Dutt, aus dem kein Haar es wagte, seine ursprüngliche Position zu verlassen und richtete die Stapel an Unterlagen auf ihrem Schreibtisch, die sowohl nach Dringlichkeit, als auch nach Masse sortiert waren und alle einen Abstand von genau 2,5 Zentimetern zur Kante ihres Schreibtisches besaßen. Zufrieden drückte sie den Rücken durch, räusperte sich und sagte: „Herein.“ Zaghaft wurde die Tür aufgedrückt, woraufhin das rot gefleckte, runde Gesicht ihres Sekretärs erschien. Auch wenn Schweißperlen auf seiner Stirn glänzten, sein Seitenscheitel wirkte, als hätte er ihn mit dem Lineal gezogen. Sobald sich die Tür auch nur einen Spaltbreit öffnete, wurden die Rufe von draußen lauter. Innerlich verzog sie das Gesicht. „Kommen Sie rein, Herr Hoffmann.“ Schnell schlüpfte ihr Sekretär ins Büro, eilte mit langen Schritten auf sie zu. „Streiken die Arbeiter immer noch?“, fragte Frau Krause, obwohl sie die Antwort bereits kannte. „Ja und es wurde vor zehn Minuten angekündigt, dass sie den Streik auf eine ganze Woche verlängern wollen. Weitere Informationen dazu“, er reichte ihr ein verschlossenes Kuvert, „finden Sie in diesem Schreiben.“ Sie versuchte sich den Schock nicht anmerken zu lassen. Das würde einen Skandal sondergleichen geben! Grundsätzlich streikten Heinzelmännchen nicht. Das heimliche Aufräumen, die Widerherstellung der Ordnung und das Schaffen von Sauberkeit, erfüllten sie mit größter Befriedigung, es gab ihrem Leben einen Sinn. Dieser Streik heute, war der erste in der Geschichte der Heinzelmännchen und hatte in der Presse für einen medialen Aufschrei gesorgt. Heinzelmännchen, die freiwillig die Arbeit niederlegten. Unvorstellbar. Eigentlich. Frau Krause wusste es besser. Sie wusste ganz genau, was ihre sonst so treuen und fleißigen Mitarbeiter zu diesem Akt der Verzweiflung trieb. Denn die Welt war am Ende. Überstunden, Sisyphusarbeiten, keine freien Wochenenden oder Feiertage, gehörten in der Umweltbranche mittlerweile zum Alltag. Kleinere Firmen klagten über ähnliche Probleme, mussten bereits Insolvenz anmelden, da die Heinzelmännchen zurück in die klassischen Betriebe wechselten, bei denen man nachts die Häuser und Wohnungen überforderter Familien reinigte. In der Umweltbranche hörte die Arbeit nie auf, führte nie zu einem zufriedenstellenden Ergebnis. Man kam nach einer langen Nacht nicht nach Hause, mit dem Gefühl, Ordnung hinterlassen zu haben, wirklich etwas erreicht zu haben. Dafür waren die Schäden zu massiv, die Menschen zu konsequent in ihrer Verschmutzung. Im schlimmsten Fall kehrten ihre Arbeitnehmer in der nächsten Nacht an ihren Einsatzort zurück, nur um festzustellen, dass mehr Müll die Gegend verpestete, als zuvor. Von den vielen verschiedenen Baustellen ganz zu schweigen! Die Welt ertrank förmlich in Plastik und Müll, man wusste gar nicht mehr, wo man anfangen sollte. „Eine ganze Woche?“ Frau Krauses Stimme blieb fest, obwohl sie innerlich zitterte. Ihr Sekretär nickte bedrückt. „Wenn Sie ihre Forderungen nicht erfüllen, also kürzere Arbeitstage, freie Wochenenden und bessere Arbeitsbedingungen einführen, dann drohen sie damit, die Arbeit noch länger nieder zu legen.“ Noch länger? Eine absolute Katastrophe. Schon jetzt, wo sie alle zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, durchschufteten, kamen sie nicht hinterher. Wie würde die Welt aussehen, wenn die Heinzelmännchen eine ganze Woche, oder noch länger, aufhörten, nachts für zumindest etwas Ordnung sorgten? Die Umwelt würde im Müll ertrinken. Zum ersten Mal in ihrer langen und harten Karriere als Geschäftsfrau war sie an dem Punkt angelangt, wo sie kurz davorstand, alles hinzuschmeißen. Die Menschheit und ihre Plastiktüten, ihr Verpackungsmüll, ihr Elektroschrott, ihre billig Kleidung und ihr verfluchtes Mikroplastik im Meer, machten sie krank. Sollte sie aufgeben? Gab es denn überhaupt noch Hoffnung auf eine Widerherstellung des Gleichgewichts, wenn die Menschen so hartnäckig daran arbeiteten, den blauen Planeten in eine Müllhalde zu verwandeln? „Ist es das noch wert? Sind die Menschen unsere Mühen überhaupt noch wert?“ Auch ihr Sekretär wusste darauf keine Antwort und alles was Frau Krause vernahm, waren die frustrierten Rufe ihrer geliebten Heinzelmännchen, die diese Frage wohl bereits für sich geklärt hatten.