Ohnmacht

Einsendung von Mia-Marie Weindorf, 19 Jahre

Klimawandel. Bei diesem einfachen Wort, schrillt in meinem Kopf sofort jede Alarmglocke. Ich muss es nur lesen, beiläufig in einem Gespräch zwischen zwei Menschen an der Supermarktkasse aufschnappen, und schon versteift sich mein gesamter Körper und das Gedankenkarussell in meinem Kopf beginnt sich zu drehen, bis ich nicht mehr weiß wo oben und unten ist, links und rechts. Von diesem Gedankenstrudel bleibt meistens nur ein Gefühl übrig: Ohnmacht. Na ja, und Schuld. Warum? Weil die Thematik Klimawandel so komplex, so emotional aufgeladen ist, dass man als Laie kaum noch den Überblick behalten kann. Ich versuche alles richtig zu machen. Ich versuche meinen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. Und ich weiß, ich gehöre weder zu den (in meinen Augen leider von allen guten Geistern verlassenen) Verschwörungstheoretikern, die den Klimawandel für eine Erfindung der Chinesen halten, noch zu denen, die glauben, dass die Wirtschaft an erster Stelle stünde und jede Veränderung mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen müsste (ach ja und Jugendliche hätten sowieso nicht die Kompetenz, die Komplexität des Klimawandels zu erfassen und sollten dies lieber den Experten überlassen). Ich gehöre zu der Gruppe von Menschen, die freitags mit selbstgebastelten Plakaten sich die Seele aus dem Leib brüllen, sich ein veganes Sojawürstchen im Sommer auf den Grill hauen und DocMartens aus gepressten Orangenschalen tragen. Warum also empfinde ich Schuld? Warum Ohnmacht? Warum genügt ein kleines Wort, um mich aus dem Konzept zu bringen und ja, mich leider auch mit Resignation zu erfüllen? Ich glaube es ist am einfachsten verständlich, wenn ich versuche zu erklären, wie man sich klimafreundlich verhält. Also, erstmal das Offensichtliche: Flieg nicht im Sommer nach Malle für ein Partywochenende (ging sowieso nicht wirklich, Corona ist letztlich doch für was gut). Oder besser noch: flieg überhaupt nicht. Wenn du schon unbedingt Deutschland entfliehen willst, dann lieber mit dem Zug. Kannste dir nicht leisten? Tja, das Flugticket für zwanzig Euro ist leider billiger. Da kommt man leicht in Versuchung. Aber fliegen ist scheiße, also kommt das nicht in Frage, es sei denn, du willst für den Rest deines Lebens nur noch voller Scham in den Spiegel schauen. Was ist mit dem Auto? Ist es nachhaltiger mit dem alten VW Bulli nach Kroatien zum Campen runterzufahren, oder den Zug in Anspruch zu nehmen? Keine Ahnung, ist beides finanziell sowieso nicht drin, also bleib einfach mit dem Arsch zuhause und brutzle an der Nordsee, sind schließlich nur Luxusprobleme. Einkaufen fahr ich mit dem Fahrrad. Auch im Winter. Und ja, am Supermarkt angekommen, sind meine Finger meistens zu Eiszapfen gefroren, aber der öffentliche Personenverkehr verlangt Wucherpreise und mit dem Auto das kurze Stück zu fahren ist doof. Im Supermarkt geht es dann weiter. Toll, ich kann mir dafür auf die Schulter klopfen, dass teure Sojahack in meinen Jutebeutel zu werfen, anstatt das billig Fleisch (mit dem super tollen Tierwohl Siegel, das jetzt alles besser macht). Das eine vegane Ernährung am klimafreundlichsten ist, muss ich ja (hoffentlich) auch keinem erklären und nein, für mein blödes Soja wird nicht der Regenwald abgeholzt, sondern für die Nahrung der Massentierhaltung und ich trinke sowieso viel lieber Hafermilch, also ätsch. Dann gehe ich (wie es sich für den Veganer gehört), in die Obst und Gemüse Abteilung. An die Avocados verschwende ich keinen Blick, verbrauchen schließlich literweise Wasser und fliegen um die halbe Welt. Dass es Möhren nur eingeschweißt gibt, lässt schon wieder meinen Puls hochgehen und dass die glänzenden Äpfel aus Chile stammen und nicht aus der Region, obwohl sie gerade saisonal erhältlich wären, treibt mir Tränen in die Augen. Dann also Kürbispfanne heute Abend. Doch als ich den Kürbis in den Jutebeutel tue, frage ich mich, wie nachhaltig so ein Stoffsack eigentlich ist. Wie oft müsste ich das Ding benutzen, damit es das ganze Wasser und das bei der Produktion freigesetzte C02 aufwiegt? Als mein Blick dann auf meine Blue Jeans steckt, die, wie ich zugebe, nicht aus dem Second hand Shop stammt, sondern von H&M, bin ich kurz davor mich heulend hin und her zu wiegen. Da ist das Gefühl schon wieder: Ohnmacht. Ah, eine Sekunde, da setzen auch schon die Schuldgefühle ein. Und von Heizen, Strom, meinem Streamingverhalten (das oh Wunder, auch Energie benötigt, die irgendwie produziert werden muss) und sonstigem Konsum habe ich noch gar nicht angefangen. Hier liegt glaube ich das Problem. Es gibt so viele Informationen, so viele Dinge zu beachten, dass man sich einfach nur überfordert fühlt. Man will alles richtigmachen. Aber hey (Spoiler Alarm), das kannst du nicht. Das kann ich nicht. Das kann auch Greta nicht. Niemand, der Mitglied in unserer Gesellschaft sein möchte, kann vollkommen klimaneutral leben. Macht mich das jetzt zum Heuchler? Weil ich freitags für Veränderung demonstriere und trotzdem letztens mit dem Auto statt mit dem Fahrrad zu meiner Freundin gefahren bin, weil es mir einfach zu kalt war? Die Antwort lautet: Nein. Auch Greta ist keine Heuchlerin, wenn sie sich mal nicht 100% klimafreundlich verhält. Auch du bist kein Heuchler, wenn du nicht alles richtigmachst. Fehler zu machen, ist okay. Habe nicht den Anspruch an dich selbst, alles perfekt hinzubekommen, sonst liegst du am Ende wie ich heulend auf dem Supermarktboden und der ist echt klebrig. Gib einfach dein Bestes. Entscheide dich beim Einkaufen ab und zu gegen die Papaya und greif nach der Birne, probiere mal Sojahack in deiner Bolognese aus, anstelle des 99 Cent Hackfleischs. Nimm an sonnigen Tagen das Fahrrad, schau nach, ob der Stromanbieter aus erneuerbare Energien vielleicht sogar günstiger ist, als dein bisheriger. Lebe bewusst. Sei dir der Konsequenzen deiner Handlungen bewusst, aber mach dich auch nicht fertig, wenn du mal nicht der Vorzeige-Klimaaktivist bist. Denn darum geht es nicht. Wenn jeder in unserer Gesellschaft sein Bestes gibt, was im Rahmen seiner finanziellen und persönlichen Lebenssituation möglich ist, dann sind wir der Rettung dieses Planeten nähergekommen, als wenn hardcore Aktivisten mit bösem Blick den Chickenburger des Freundes begutachten und dieser daraufhin dichtmacht. Nur gemeinsam haben wir eine Chance. Nur wenn wir nicht resignieren und nicht zu hart mit uns selbst und unseren Mitmenschen ins Gericht gehen, können wir gemeinsam die Klimakatastrophe abwenden. Trotzdem gilt: Fliegen ist scheisse. Da kannste auch noch so viel Hafermilch in deinen Kaffee kippen.

Autorin / Autor: Mia-Marie Weindorf, 19 Jahre