Die A49

Einsendung von Lennart Bade, 21 Jahre

Grelles Licht durchdringt mein Zelt, kalte Nebelluft meinen Schlafsack. Motorengeräusche dröhnen, Wasserwerfer drohen. Der Lärm der Staatsgewalt zerschneidet die Stille des Waldes.
Ich bin für eine Woche in den bedrohten, halb gerodeten Wald von Dannenrod gefahren. Angekommen mit der Einstellung, mir einen Überblick zu verschaffen, gegangen mit dem Selbstzweifel, warum ich nicht gleich im Baumhaus übernachtet habe. Die zukünftige Autobahn ist eine gerodete, geschotterte, breite, längliche, von Stacheldrahtzaun umrahmte Schneise durch den Wald; sie bahnt sich den Weg in und durch die Natur. Im Abstand von zwanzig Metern: Scheinwerfer. Korrektur: Flutlichtanalgen. Lampen leuchten in alle Himmelsrichtungen – gar sinnloserweise in den Himmel selbst. Die benzinbetriebenen Motorengeräusche der Generatoren der in zwanzig Meter Abstand stehenden Lichtanlagen geben nun auch jenen Tieren den Rest, die das Licht nicht wahrnehmen, aber ja wohl wenigstens die Geräusche hören sollen.

Machtdemonstration.

Die Natur, was ist schon die Natur gegen diese Lichterflut? Heller als jede Großstadt, kilometerweit nachts hell den Horizont erleuchtend zu sehen. Hier wird sie sein, hier und nirgendwo sonst, hier im mittlerweile tierlosen Wald, hier wird sie gebaut, eure A49! Seht die allnächtlichen Lichterschauspiele am Horizont ihr Einwohner Dannenrods, Stadtallendorfs und Appenrods, ihr Vögel, die vom Lichte verwirrt keinen Landeplatz mehr finden könnt, seht wie schön: Helligkeit ins Dunkel gebracht. Sieht so die deutsche Interpretation der europäischen Aufklärung aus?

Und hier bin ich. Hier ist mein Zelt, rechts neben dem Dannenröder Forst, einige hundert Meter vor der Lichtschneise, die links in den Wald führt und rechts in die Containerburg. Eine viereckige Belagerungsstätte, erinnernd an jene, die die Römer gegen Asterix‘ Dorf errichtet haben. Ganz Waldanien? Nein. Ein von Unbeugsamen Aktivisti bevölkerter 300 Jahre alter Mischwald leistet den Eindringlingen Widerstand. Klar, da stapeln die Männer mit blauer Uniform schonmal Container übereinander, errichten dadurch einen Schutzwall und lagern im Inneren Tausendschaften an Sturmtruppen ähnlichen Spezial-Einsatz-Cops, hunderte Kettensägen, dutzende Wasserwerfer, Räumpanzer und Harvester, überdimensionierte Hebebühnen und Kräne, Schotter für die zukünftigen Waldwege, tausende „GESA“-Autos, teure Drohnen, Kletterseile, Kabel, Metalle, Handschellen, Schlagstöcke, Schusswaffen, Schutzschilde, Stahlkappenschuhe, Stacheldraht, Zaun.

Machtdemonstration.

Hier, wo 8.000 Polizisten im Einsatz sind, hier wo die „Innerdeutsche Grenze“-look-alike-contest gewinnende Stacheldraht-Waldrodungs-Schneise aufgebaut wird, hier, wo hundert Wannen im Blaulicht-Konvoy durch die Dörfer fahren und die zwölf Wasserwerfer bei der lokalen „Shell“ tanken, hier wo Anwohner beim Waldspaziergang einen Platzverweis erteilt kriegen, hier wird sie sein: Eure A49!

Schonmal daran gedacht, etwas gegen diese Unverhältnismäßigkeit zu sagen? Schonmal mit einem Wasserwerferfahrer geredet? Schonmal einen Schneeball geworfen und eine Schneemannbarrikade gebaut? Der verzweifelte Protestwurf des kleinen Schneeballs verfängt sich im Wasserwerferstrahl, wie der Ruf vor dem Verkehrsministerium Echo-los von der Betonwand verschluckt wird. Ungezogen, unerwünscht, unerhört, effektlos. „Ja“, sagt der Cop zur Frage, ob er gerne Gewalt anwende – „nur Notwehr“ antwortet ein anderer. „Ich bin unpolitisch“, sagt der Cop zur Frage, ob er die Autobahn für sinnvoll halte – „Ich habe doch Grün gewählt“ antwortet ein anderer. Drei Tage dieselben Gespräche: Was tun gegen Polizeigewalt? Was tun gegen diese Übermacht? Natürlich ist es unsinnig, die einzelnen Menschen in Polizeiuniform zu hassen, zu ärgern, zu provozieren, mit ihnen zu diskutieren, von ihnen etwas zu erwarten, Aussagen über sie zu generalisieren. Natürlich ist es unsinnig, Steine zu schmeißen, Pyros zu zünden, vom Baum zu pinkeln, Bagger zu stürmen, Schneebälle zu werfen. Unnatürlich sind 8.000 Roboter ähnliche Cops mit Räumungspanzern und Wasserwerfern, mit Schusswaffen und Schlagstöcken, mit Schutzhelm und Schutzschild, mit Walkie-Talkie und Kollegen links und rechts, mit dem Recht der Staatsgewalt auf ihrer Seite. Ihnen gegenüber stehen einige hundert frierende Menschen mit Pullovern und langen Unterhosen, mit Schokolade und Tee, mit Mützen und Handschuhen, mit Jacken und Schneehosen, ohne Wechselklammmotten für den Wasserwerferstrahl, ohne eine Möglichkeit, sich zu trocknen und aufzuwärmen… Mit der Moral auf ihrer Seite? Der Schneeball verfängt sich im Wasserwerferstrahl. Mensch kann ihn auch liegen lassen. Für eure A49.

Ich gehe durch das Camp, ich sehe die Verzweifelten, die zurück in die Kälte des Protests gehen und sehen, was in ihrer Abwesenheit zerstört wurde. Wieviel Meter Wald bleiben noch? Ich sehe die Hoffnungsvollen, die sich über die enorme Unterstützung freuen – es gibt Geld, Klamotten, Equipment und Essensspenden –, die Hoffnungsvollen, die wissen, dass dieser Kampf um den Wald, um das letzte Stück Wald, um die letzten Meter Natur, um das letzte Baumhaus, ein Symbolbild ist. Ein Symbolbild, das zu einer Warnung wird:

So. Geht. Es. Nicht. Weiter.

800 Kilometer Autobahn bis 2030 und jeder Kilometer würde so aussehen: Lichtflutanlagen, Stacheldrahtzaun, 8.000 schwerausgerüstete Polizisten, an der lokalen Tankstelle tankende Wasserwerfer, Räumungspanzer und Hebebühnen, die in einer vier Fußballfelder großen Container-Belagerungsstätte geparkt werden, um täglich die Naturzerstörung des Rodungsunternehmens zu gewährleisten, um Baumhäuser einzureißen, um alles im Weg stehende zu zerstören, um Tiere zu vertreiben, um Menschen dem Platz zu verweisen, um Stacheldraht hochzuziehen und Lichtflutanlagen gen Himmel anzuwerfen.

Hier werden sie sein: Eure A 14, A 480, A 4, A 49, A 98, A 94, A 99, A 39, A 26, A 22. Und hier werden auch wir sein, unbewaffnet in Baumhäusern und Zelten, mit Pullovern und langen Unterhosen, wir A ktivisti.