Der Versuch
Einsendung von Lina Reschminski, 13 Jahre
Gesunde Bäume mit grünen Blättern und saftigen Früchten. Tiere, die fröhlich herumalbern. Menschen, die ihnen dabei lächelnd zugucken und die Natur und sowieso alles, was sie haben, zu schätzen wissen. So hätte es heutzutage aussehen können. Das tut es aber nicht.
Ich trat aus der Tür meines Rückzugsortes. Meiner eigenen kleinen Fantasiewelt. Es war eine kleine Hütte, die früher mal von einem prächtigen Wald umgeben war. Ich hatte sie nach meiner Vorstellung von einer perfekten Welt gestaltet. Diese war anders als die Welt, in der ich lebte. Sie war ganz anders. Mich umgibt staubige, trockene Luft, die mir das Atmen schwerfallen lässt und mir die Sicht beeinträchtigt. Tiere lebten hier schon lange nicht mehr. Pflanzen auch nicht. Eigentlich war hier alles leblos. Das einzige, das an ein glückliches Leben erinnerte, waren die unzähligen, abgestorbenen Baumstümpfe. Wie stumme Zeugen einer weit zurückliegenden Ära, deren klaffende Wunden sich mit Schorf für immer verschlossen hatten. Ich mochte diesen Anblick nicht. Ich hasste diesen Anblick. Alles grau und staubbedeckt. Ich ließ meinen unsteten Blick über die gerodete Fläche schweifen. Ich riss meine Augen auf, bis sie anfingen zu brennen. Ich rannte los. Der steinige, karge Boden schmerzte unter meinen nackten Füßen. Doch das war egal. Ich rannte und kam an. Hatte ich mir das nur eingebildet oder … weiter kam ich nicht mit meinen Worten. Ich blieb stehen. Ich sah. Ich staunte. Ja, ich hatte mich nicht versehen. Für die Menschen aus meiner Fantasiewelt wäre das ein normaler Anblick gewesen. Für mich aber nicht. Für mich würde es immer etwas Besonderes bleiben. Immer etwas anders bleiben. Es war so klein und dennoch war ich mir sicher, dass es Großes bewirken konnte. Es könnte den Menschen zeigen, dass noch nicht alles vorbei ist. Es könnte neue Hoffnung entstehen lassen. Brannte meine Fantasie gerade wieder mit mir durch? Ich schob den Gedanken erst einmal beiseite. Hier draußen würde es nicht überleben. Vorsichtig entfernte ich es, pflanzte es behutsam in meine Hände. Seine Wurzeln reagierten auf meine Körperwärme und gierten nach meinem Schweiß auf den Händen. Es lebte. Ich ging zurück zur Hütte, diesmal vorsichtiger. Die scharfkantigen Steine schnitten sanft an den Füßen die Haut auf wie die aufmüpfigen Seiten eines Buches. So stellte ich mir Bücher zumindest vor, nur noch wenige Exemplare befanden sich in einer unterirdischen Bibliothek unweit meines Refugiums, der man den Namen `Alexandria´ gegeben hatte. An der Hütte angekommen, pflanzte ich es in einen kleinen Topf mit Erde, die ich mir für genau diesen Moment aufgehoben hatte. Ob mein Plan aufgehen würde, wusste ich nicht. Ein Versuch war es wert.
Autorin / Autor: Lina Reschminski