Wie jeden Donnerstag bin ich zu spät in der Stadt. Wie jeden Donnerstag sehe ich sie überall. Die Zum-Mittagessen-gab’s-ne-Buddha-Bowl-Soja-Matcha-Latte-schlürfenden Trendveganer, die sich einmal im Monat zum Meditieren treffen. Wenn ich mit meinem Vater unterwegs wäre, würde der sagen, dass die Leute doch immer komischer werden, und dass er froh ist, dass meine Schwester und ich wenigstens ansatzweise etwas geworden sind.
Meiner Meinung nach ist Veganismus als Trend vielleicht nicht der beste Ansatz, weil Trends, wie Männer, kommen und gehen. Trotzdem war es ein großer Schritt, als die pflanzenbasierte Ernährung, egal ob Vegetarismus oder Veganismus, mehr in unsere Gesellschaft und in unseren Kühlschränken integriert wurde. Heutzutage ist es, vor allem im Vergleich zu den Anfängen in den 80ern sehr einfach rein pflanzlich zu kochen. Damals war die Entscheidung sich vegan zu ernähren eine viel schwierigere. Man musste sich informieren und wie man seinen Nährstoffhaushalt allein durch die verschiedenen Obst- und Gemüsesorten regulieren kann, wie man an diese herankommt, ohne selbst nach Peru zu fliegen, um sich dort eine Avocado zu pflücken. Heute steht man vor dem Kühlregal des lokalen Supermarktes und hat verschiedliche Ersatzprodukte, zu denen man greifen kann. Dazu kommen alle möglichen Proteinpulver, Vitaminpillen und kostenlosen Vitamin B-12-Checks der Krankenkasse, die die Umstellung nahezu nahtlos und natürlich leicht machen. Somit muss man nicht jeden Morgen einen Green-Smoothie trinken und einen Haferbrei essen, um jede Nährstoffgruppe abgedeckt zu haben, sondern kann auch ein “Gsälzweckle” mit Kaffee zu sich nehmen und schluckt hinterher ein paar Tabletten. Dies konnte aber nur durch den Trend erreicht werden. Ansonsten wären wir vom Angebot her eher mager ausgestattet.
Dass man eher mager ausgestattet sei, ist ein Satz, den man als sportlicher Veganer nicht allzu selten hört. Man wird im allgemeinen von Omnivoren eher belächelt und nicht gerade verständnisvoll von der Seite angemacht. Wir haben doch schon immer Fleisch gegessen. Ich brauche mein Fleisch. Ich mach doch Bodybuilding, muss mich ausgewogen und mit vielen tierischen Proteinen ernähren. Aussagen oder sogenannte Argumente der Anti-Veganer, die es einem schwer machen, gelassen und ruhig aufzuklären und dabei dem gegenüber kein schlechtes Gewissen zu machen. Wenn man aber die Welt ein Stück besser machen will, muss man sich informieren und auch damit leben können, dass jemand kein Verständnis für deine Meinung hat.
Ja, unsere Vorfahren haben Fleisch gegessen. Aber unsere Vorfahren haben diese Tiere auch mit einem selbstgebastelten Speer und barfüßig erlegt, um sie dann über ein Feuer zu halten und hinterher in einer Höhle auf dem Boden zu schlafen. Nur, weil unsere Vorfahren Fleisch gegessen haben, heißt das nicht, dass wir auch Back-to-the-Roots gehen müssen und es ihnen gleichtun. Wir leben in einer Welt des Fortschritts, nicht des Rückschritts. Dann auch noch zu sagen, dass man auf sein Fleisch nicht verzichten kann, dass man es sogar bräuchte, um zu überleben, ist das moralisch Unfassbarste, was man sagen kann. Das Leben eines anderen Wesens über seine eigenen Bedürfnisse oder die eigene Befriedigung zu stellen ist, wie meine Oma sagen würde, “net sou schää”. Wo ziehen wir dann die Grenze? Ist es somit in Ordnung, wenn der Mörder tötet, weil es ihm Spaß macht? Ich denke nein. Das Argument wird noch schwächer, wenn man darüber nachdenkt, wie viele Alternativen es zu Fleisch gibt, die nicht vorher in engen Käfigen gemästet wurden, um hinterher geschlachtet zu werden.
Trotz all dieser Gegenargumente, verzichten nur ca 12% der Deutschen auf Fleisch. Ich gehöre dazu, meine Familie nicht. Vor fast zwei Jahren entschied ich mich dazu und wer hätt’s gedacht - ich lebe noch! Anfangs war es zugegeben etwas schwierig. Ich traf die Entscheidung vor allem wegen der negativen Aspekte im Bezug auf die Umwelt. Ich war seit meiner Kindheit ein großer Fleischesser und hätte auch nie gedacht, dass ich ohne Fleisch oder tierische Produkte leben könnte. Geschweige denn meine Familie. Ich war ab jetzt die Extrawurst, wegen der extra etwas Vegetarisches gekocht wurde. Ich selbst vermisste auch den Geschmack von Fleisch und musste sehr viel mehr tun, als einfach nur das Fleisch wegzulassen. Ich musste mich jetzt “outen” und wurde somit gezwungen, mich mehr mit dem Thema auseinander zu setzen. Daraufhin ließ ich mich auf eine Argumentation mit meiner Tante ein und musste meiner Oma verständlich machen, dass ich auch nicht die “Baschdaschudda”, ihre dorfberühmte Spaghetti Bolognese, essen werde. Je länger ich diskutierte, desto mehr wurde mir bewusst, welchen wichtigen Schritt ich gegangen war und wie viel besser ich mich fühlte. Als ich dann schließlich auch tierische Produkte wie Eier und Käse auf ein Minimum reduzierte und von Kuhmilch zu Hafermilch übergegangen bin, war klar, dass Fleisch keine Option mehr war. Ich entwickelte ein Gefühl von Ekel. Ich sehe Fleisch und ekele mich. Das Einzige, was noch von früher geblieben ist, sind Gerüche von Fleischgerichten. Ich rieche Gulasch und verbinde kuschelige Winter meiner Kindheit damit. Es ist Sommer, ich rieche, dass jemand grillt. Beides Mal sage ich, es riecht gut oder lecker. Trotzdem will ich es nicht essen.
Dieses kleine Rinderfilet hat nämlich zur Folge, dass Wasser auf der Welt knapp wird, dass Menschen verhungern, dass Tiere gequält werden und dass unsere Erde sich dem Klimawandel ergeben muss.
Vegan zu werden, heißt nicht, sich Dreadlocks zu machen und einen Yogakurs besuchen zu müssen. Sich pflanzlich zu ernähren heißt, dass man erkannt hat und irgendwie auch davon erleuchtet wurde, dass es in der Hand jedes einzelnen liegt. Es heißt, dass dir bewusst ist, welches Leid du anderen ersparen kannst und dafür Leben schenken kannst. Den Tieren und kommenden Generationen. Da bin ich gern die Extrawurst. Willst du auch eine sein?