Die Antarktis – und dazu zählen der Kontinent Antarktika sowie die Inseln und Meeresgebiete jenseits des Südpolarkreises – beherbergt die größte zusammenhängende Eismasse, größte Eiswüste und ist zugleich der kälteste Ort der Erde. Am abgelegensten Kontinent der Welt herrschen extreme Trockenheit, harsche Winde sowie die außergewöhnlichen Rhythmen von Polartag und -nacht. Eine lebensfeindliche Welt. Und doch: Unter dem Eis und auf dem Grund der antarktischen Meere befinden sich einige der erstaunlichsten, ältesten und einzigartigsten Ökosysteme des Planeten.
Das vielleicht beste Beispiel hierfür liefert der mehr als 3500 Meter unter der russischen Wostok-Station liegende der Wostok-See, welcher der größte der bisher bekannten subglazialen Süßwasserseen, und seit vielen Millionen Jahren vollständig eingeschlossen ist. Er könnte komplexe, uralte und chemotrophe Ökosysteme beinhalten, welche Einblicke in das Leben längst vergangener Zeiten geben könnten, eine Tiefenbiosphäre, gespeist durch Thermalenergie.
Die Antarktis ist ein Ort, der durch seine Polarität besticht – nicht nur geografisch, sondern auch klimatisch: Nicht allein die Vergangenheit lässt sich hier auf Grund des besonderen Klimas ablesen, auch über zukünftige Entwicklungen lassen sich vielfältige Einsichten gewinnen. So sind die polaren Regionen auf Grund ihrer empfindlichen Reaktionen auf diverse Faktoren etwa zu Indikatoren des Klimawandels geworden. Der Teufelskreis der Eisschmelze sowie die Eis-Albedo-Rückkopplung sind ja bereits allgemein bekannt. Würde das ostantarktische Eisschild vollständig schmelzen, stiege der globale Meeresspiegel um etwa 60 Meter. Bangladesch würde zu einer der ersten stark betroffenen Regionen, mit an die 20 Millionen Klimaflüchtlingen, die ihre Heimat verlassen müssten, aber auch Florida und die Niederlande sowie zahlreiche weitere Küstenregionen stünden beinahe gänzlich unter Wasser.
Aber was ist der Grund für das Schmelzen des polaren Eises? Die anthropogene Klimaerwärmung und insbesondere der starke Ausstoß von Treibhausgasen hat dazu geführt, dass manche polaren Winde zum Erliegen gekommen sind oder ihre Richtung umgekehrt haben. Dies hat wiederum zur Verstärkung warmer zirkumpolarer Tiefenströmungen geführt, welche aus den Tiefseegräben emporsteigen und an einigen der empfindlichsten Gletscherzungen der Antarktis lecken. Zumeist liegt das Eis der Gletscher in Küstenbereichen nicht auf dem Grund auf, so dass das warme Wasser von unten gegen das Eis strömen kann. Die Gletscherzunge des Shirase-Gletschers an der Küste der Ostantarktis ist beispielsweise von einer solchen Strömung betroffen, welche zu einer jährlichen Eisschmelze von 7-16 Metern führt, möglicherweise der bisher höchsten gemessenen Schmelzrate der Ostantarktis, die vorher im Totten-Schelfeis mit 10-11 Metern im Jahr lag. Ungleich dramatischer ist die Situation an den beiden gefährdetsten westantarktischen Gletschern, dem Pine-Island-Gletscher und dem Thwaites-Gletscher. Gemeinsam verlieren sie jedes Jahr etwa 100 Milliarden Tonnen Eis.
Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der besonderen Rolle, die der Antarktis bei der Entwicklung des Klimas zukommt, kann sie auch als Paradebeispiel für Erfolge im Umweltschutz und der weltweiten friedlichen Kooperation angesehen werden, nämlich im Hinblick auf den Antarktis-Vertrag von 1959.
Abgesehen von seiner politischen Bedeutung als erster internationaler Vertrag nach dem zweiten Weltkrieg, welcher zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten eine friedliche Koexistenz fixierte, erzielte der Antarktis-Vertrag, der mittlerweile von 51 Staaten unterzeichnet wurde, große Errungenschaften, sowohl was den Klimaschutz anbelangt, als auch die Förderung der Wissenschaften: Das antarktische Gebiet darf ausschließlich friedlich genutzt werden, alle Mitgliederstaaten lassen ihre Gebietsansprüche ruhen, freier internationaler Austausch von Informationen und Personal wurde ermöglicht, Bergbau und die Ausbeutung von Bodenschätzen ist untersagt und es bestehen strenge Auflagen was die Entsorgung von Abfall und mögliche Kontaminationen mit eingeschleppten Pflanzen oder Krankheiten betrifft. Die TeilnehmerInnen der immer beliebter werdenden Antarktis-Kreuzfahrten dürfen beispielsweise an Land keine Speisen zu sich nehmen und müssen ihre Exkremente aufbewahren und später auf dem Schiff entsorgen. Auch ist die Einführung radioaktiver Abfälle verboten. Außerdem sind seit Beginn des Abkommens zahllose multinationale Forschungsprojekte durchgeführt worden. Abgesehen von den vielen Studien und Experimenten, welche sich mit den Veränderungen des Klimas, der Winde und der Meere befassen, die Ökosysteme der Antarktis und deren Flora und Fauna untersuchen und den Forschungen, die sich der Glaziologie widmen, werden auch Projekte im Bereich der Astrophysik, der Astronomie und der Geophysik durchgeführt (z.B. in der Amundsen-Scott-Station).
Eine weltweite Übereinkunft, wie sie der Antarktis-Vertrag darstellt, und wie wir sie spätestens auch mit dem Paris Agreement für den Klimaschutz erhalten haben, ist für zielgerichtetes internationales Handeln unabdingbar. Jeder Einzelne kann bereits viel erreichen, aber gemeinsam, in friedfertiger Kooperation, können Fortschritte erzielt werden, die die Möglichkeiten des Einzelnen weit übersteigen. Wir leben in interessanten Zeiten, Zeiten, in denen es unsere Pflicht sein muss, einzigartige Wunder wie die antarktischen Gletscher und Ökosysteme zu erhalten. Die globale Zusammenarbeit ist wichtiger als je zuvor. Das Dringen auf nachhaltiges Handeln, das beharrliche und unnachgiebige Verfolgen der von uns gesteckten Ziele und die Kreativität in unseren Ansätzen, zu welcher auch die Wissenschaftler auf den kleineren, mit weniger Mitteln ausgestatteten Antarktisstationen gezwungen sind, und die viele von uns in der einen oder anderen Weise während der Pandemie unter Beweis stellen durften, sind essentiell im Streben nach einer gemeinsamen, friedlichen Zukunft.