„Ich hoffe, das wird ausreichen, um die Menschen davon zu überzeugen.“, sage ich zu mir. Mit 17 Jahren noch in der Umwelt-AG zu sein, ist nicht gerade das schönste. Meist melden sich Kinder um die 11 Jahre an. Doch leider bin ich die einzige dieses Jahr, die Interesse daran hat. Zusammen mit Mia, Leonie und Rose müssen wir heute einen Artikel schreiben und ihn posten. Aber eigentlich mach ich die ganze Arbeit. Ab und zu frag ich, ob ein Satz so gut ist, aber sie nicken nur und schauen weiter auf ihr Handy. Sie wollten eigentlich nicht mitmachen, aber schließlich war eine doch zu wenig und wir mussten auslosen. Dass sie mir nicht zuhören, ist mir bei denen egal. Sie machen ja den ganzen Tag nichts außer mit irgendwelchen Typen rum zu machen und sich Masken aufzustreichen. Aber was solls, es gibt ja noch andere Menschen auf der Welt, stimmts?
Als ich den Artikel fertiggeschrieben hab, zieh ich meine schwarze Jacke an und laufe zur Bushaltestelle. Ich schau mich um und bemerke, wie ein Junge um die 19 Jahre haufenweise Schlucke trinkt. Jede Vodka-Glasflasche wird in eine dunkle Ecke geworfen und zerschmettert. Also wirklich! Dafür gibt es doch einen Glascontainer, man muss sie nicht gleich auf den Boden schmeißen. Von Wut gepackt lauf ich stapfend zu ihm hin und tippe ihm auf die Schulter. Als er sich umdreht, sehe ich, dass er in der Hand eine Whisky-Flasche trägt. Die Finger wurden von den kaputten Glasscherben aufgeschnitten und bluten. Ich wandle mit dem Blick zu dem Gesicht. In seinen dunkelbraunen Augen spielt sich ein Kampf ab. Plötzlich krieg ich Schiss. Und warum auch? Ich wollte ihm doch eigentlich so eine Art Lektion erteilen, und nicht wie so ein dummer Klotz da stehen. Jetzt starrt er mich an und sagt kein Wort. Stotternd versuche ich einen gescheiten Satz heraus aus zu drücken: „Entschuldige mal bitte,… aber ich glaube die Flaschen gehören da nicht hin.“ Er schaut mich an, dann läuft er zum Haufen und fängt an, die Scherben aufzuräumen und in den Container zu werfen. Während die Bahn kommt, werfe ich ihm einen letzten Blick zu und steige ein.
Zu Hause angekommen öffne ich die Tür mit dem Schlüssel. Sobald ich reinkomme, steigt mir der Geruch von Rauch und Bier in die Nase. Blätter, Zigaretten, Flaschen… alles mögliche!. Ich seufze. Siebzehn Jahre, dass ich in dieser Wohnung bin und meine Eltern haben nichts anderes getan als betrunken von der Bar zurückzukommen und sich besoffen auf das Bett zu werfen. Schon wieder alles schmutzig, schon wieder alles stinkig und schon wieder alles scheiße. Ich stelle meine Schuhe und meinen Rucksack vor den Eingang und beginne zu putzen. Ich verzieh eine Grimasse. Am Ende dauert es zwei volle und ganze Stunden, alles sauber zu machen. Manchmal komme ich mir so vor, als wäre ich die Mutter, die auf zwei kleine Kinder aufpassen muss. Müde lege ich mich ins Bett und schlafe sofort ein.
Am nächsten Tag ist meine Mutter zur Arbeit gefahren. Nicht, dass das ein richtiger Job wäre, in einem Stripclub zu arbeiten, aber das ist der einzige, den sie hat. Ich frühstücke mit zwei Pfannkuchen, zieh mich an und fahre zur Schule.
Während der Biologie Stunde werde ich ins Rektorat gerufen. Als ich mich setze, beginnt Herr Martin sofort an zu reden: „Wie du weißt, Teresa, sind wir derzeit nicht so gut dran mit dem Seeschutz-Projekt. Da habe ich mich gefragt, ob du nicht einspringen könntest. Du bist doch sonst immer so gut mit Umwelt Projekten, oder?“ Er hat recht. Die Seeverschmutzung ist sehr gestiegen und die Leute haben nicht auf uns gehört, um den See wieder in ein schönes transparentes Blau zu versetzen. „Ja, klar! Aber ich wüsste leider nicht wie.“ „Daran habe ich schon gedacht. Diesen Freitag, an der nördlichen Seeküste. Sie müssen nur noch eine überzeugende Rede halten, die uns alle umhauen wird.“ Heute ist schon Dienstag! Ich wüsste nicht, wie ich das in zwei Tagen hinkriegen könnte. „Es würde mich wahnsinnig freuen, aber… leider habe ich zu wenig Zeit und dazu bin ich noch allein.“ „Darüber müssen Sie sich keine sorgen machen, ich habe Ihnen schon einen Mitschüler aus der JS1 ausgesucht.“ Ich dreh mich in die Richtung, in die er zeigt und springe erschrocken auf: In der dunklen Ecke, sitzt plötzlich jemand. Irgendwas an ihm erscheint mir aber bekannt. Plötzlich geht in meinem Kopf etwas an.
„…und bitte vergessen sie nicht, sich auf unsere Seite anzumelden. So, das wäre geschafft.“ In den letzten zwei Tagen haben ich und Marco uns mit unserer Rede beschäftigt, die wir heute vortragen müssen. Ich bin so aufgeregt! Der Präsident hat uns geschrieben, dass, falls wir die Leute dazu bringen, die Verschmutzung zu verhindern, wir auch einen Preis bekommen. In der Mail stand zwar nicht drinnen, um was für eine Überraschung es sich da handelt, trotzdem eskaliere ich mich so viel, dass Marco mich immer wieder runterbringen muss. In der wenigen Zeit, die wir zusammen verbracht haben, habe ich bemerkt, dass sich unter dieser Maske aus Tattoos, dunklen und tiefen Augen, sich ein süßer und lustiger Junge verbirgt. Er legt einen Arm um meine Schultern, um mich zu trösten.
Erst, wo wir am Platz ankommen und aus dem Auto seines Vaters aussteigen, sehe ich, wie viele Menschen kritisch da stehen und uns angucken. Fast kommt mir mein Mittagsessen hoch, doch Marco nimmt mich an die Hand und drückt sie fest.
„Nun, wie ihr alle wisst, ist der Wasserspiegel in den letzten Wochen gestiegen, wegen dem Schmutz, der da reingeworfen wird. Wenn wir nicht sofort was unternehmen, wird es bald keinen Platz mehr geben zum baden, fischen und so viele andere Hobbys! Die vielen Gase, die wir ableiten, lassen die Atmosphäre kleiner werden, bis sie unseren Planeten zerdrücken wird. Ebenso droht die Sonne in ein paar Mio. Jahren die Erde zu verschlucken.“ Ich rede weiter und vergesse meine Angst vor Auftritten. Als ich fertig gesprochen habe, ist es erstmal still. Dann folgt ein lauter Applaus. Ich drehe mich mit Tränen in den Augen um, während Marco seine Lippen auf meine drückt.