Jede Person ist vielfältig
Im Rahmen des Kreativ- und Schreibwettbewerbs #IchDuWirVonHier haben wir das Jurymitglied Emre Bayanbas von den HeRoes interviewt
Emre Bayanbas; Bild: Abduraheem Darwisha, HeRoes Duisburg
Wie bist du dazu gekommen, dich bei HeRoes zu engagieren?
Schon seit meiner frühen Jugend interessiere ich mich für politische und gesellschaftskritische Themen, auch wenn mir damals die Begrifflichkeiten und die Strukturen nicht transparent erschienen, wusste ich, dass etwas oder mehreres in der Gesellschaft falsch läuft. Mein Engagement begann regional im Dorf im Landkreis Aschaffenburg, wo ich herkomme, und parallel dazu konsumierte ich viel an Literatur und Dokumentationen, um meinen Geist füttern zu können. Ich informierte mich eingehend über Ungerechtigkeiten und durch die Beschäftigung mit solchen Themen entwickelten sich sukzessive meine heutigen Prinzipien. In einer dieser gesellschaftskritischen Dokumentationen entdeckte ich das HeRoes-Projekt. Das Projekt ist ein rassismuskritisches antisexistisches Projekt, und als sich herausstellte, dass es unter anderem in Duisburg seinen Sitz hat, kontaktierte ich während meiner Ferien im Ruhrgebiet Susanne Lohaus, die Leiterin des Projekts. Da meine Tante in Duisburg wohnt, war es für mich auch nie ein Problem, zum Projekt-Standort zu kommen. Ich kann mich noch gut an die erste Sitzung erinnern, von da an verfestigten sich meine Prinzipien und mein Engagement nahm zu. Ich hatte einen sicheren Ort für mich gefunden, an dem ich frei von jeglichen Zwängen oder gesellschaftlichem Druck politisieren und philosophieren konnte.
Was gefällt dir an HeRoes besonders?
Am Projekt HeRoes reizen mich mehrere Punkte. Die wohltuenden Sitzungen boten und bieten noch immer einen Schutzraum für alle, die in der Runde sitzen. Als ich dann tatsächlich nach Duisburg zog, bekam ich über das Projekt einen Zugang zu der Kommune und mir fiel es leichter, Kontakte zu knüpfen. Aber viel mehr empfinde ich das Projekt als Bereicherung. Es bietet ein Sprachrohr von und für Jugendliche, indem wir eben als Multiplikatoren* an Schulen Workshops durchführen. Wichtig sind die Statements für Gleichberechtigung und gegen Gewalt jeglicher Art. Vor allem aber kann ich mich selbst und mein Umfeld reflektieren und kritisch hinterfragen. Ich lerne mich selbst besser kennen und versuche meine Privilegien zu checken, die anderen verwehrt bleiben und daraus einen Mehrwert zu ziehen. Mir gefällt es, nicht nur darüber zu sprechen, die Welt oder eher die Gesellschaft verbessern zu wollen, sondern mir gefällt es auch das zu tun.
Beim Wettbewerb #IchDuWirVonHier geht es unter anderem um Themen wie Integration und Vielfalt. Was verstehst du unter den beiden Begriffen?
Zwar haben alle Begriffe bestimmte Definitionen, jedoch verändern sich Begriffe und Perspektiven mit der Zeit, auch eine gewisse Subjektivität spielt eine Rolle. Wenn es um den Begriff Vielfalt geht, verstehe ich darunter in erster Linie eine persönliche Vielfalt. Jede Person ist vielfältig, ob sie ihre Vielfältigkeit ausleben oder ihr Ausdruck verleihen kann, hängt von vielen Faktoren ab. Das bezieht sich auch auf den Begriff der Integration. Ich finde, dass die Ursprungsdeutung des Begriffes Integration verfehlt ist und falsch benutzt wurde. Nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch kommt der Punkt, an dem sich jede*r in eine Gruppe, beispielsweise die Mehrheitsgruppe, integrieren kann. Aber Integration kann auch heißen, die eigene Schutzzone zu verlassen. Außerdem muss Integration gewollt sein, deshalb sollten Chancen angeboten werden für eine echte Teilhabe. Wenn ich von Integration rede, geht es mir also darum, dass jede und jeder in ihrer eigenen Vielfalt akzeptiert und toleriert werden sollte, um eine erfolgreiche und glückliche Teilhabe zu ermöglichen.
Auch Werte spielen beim Wettbewerb eine große Rolle. Welche Werte sind dir persönlich wichtig?
Natürlich obliegt es einer Gesamtgesellschaft, bestimmte Werte zu haben, wie beispielsweise das Grundgesetz. Aber neben demokratischen, einheitlichen Werten existieren auch viele andere Werte, die durch Religion, Tradition, Region und andere Faktoren bestimmt werden. Aber diese Werte dienen nicht dem Glück aller. Meine Ansicht zu Werten lässt sich mit Prinzipien gleichstellen. Und meine Prinzipien sind dadurch gekennzeichnet, dass jede*r tun und machen kann, was er oder sie will, ohne aber dabei andere zu verletzen, zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Aber auch Werte wie Glück, (Selbst-)Liebe und Wohlbefinden sind wesentliche Punkte, die für mich und meinen Alltag eine große Rolle spielen.
Was erhoffst du dir als Jury-Mitglied von den Wettbewerbs-Beiträgen?
Ich erhoffe mir von den Wettbewerbs-Beiträgen vielfältige, inspirierende Persönlichkeiten. Ich will dem Gefühl nachgehen, mit denen die Beiträge gemacht wurden. Ich möchte in die einzelnen Welten hineintauchen und einen tieferen Einblick davon gewinnen, was hinter den Teilnehmer*innen steht. Ich erhoffe mir, dass sie mich in ihren Bann ziehen und mich teilhaben lassen.
Fühlst du dich eher als Bayer oder als Ruhrpöttler? Oder spielt das generell eher keine große Rolle für dich?
Als kleines Kind lernte ich früh, mich als Deutscher rechtfertigen und beweisen zu müssen. Dieser Trotz hielt auch an, als ich nach Duisburg zog und wurde auf mein Bayer-Sein begrenzt, weil ich dachte, dass ich mich als Bayer kenntlich machen müsste. Aber mit der Zeit begriff ich, dass meine Persönlichkeit vielmehr aus eigenen Errungenschaften und Kompetenzen, wie Kreativität, Engagement und anderen Eigenschaften, zusammengesetzt war. Nichtsdestotrotz wird Bayern ein Teil meiner Identität bleiben. Ich bin dort geboren und wuchs eben dort auf. Ich fühle mich verbunden und spüre eine Sehnsucht und Heimweh, wieder dahin gehen zu wollen. Vor allem als ich nach Duisburg zog, schätzte ich Bayern als einen Teil meiner Identität. Und ich denke, wenn ich irgendwann mal wieder umziehen sollte, werde ich ebenso begreifen, dass Duisburg oder das Ruhrgebiet ein weiterer Teil meiner Identität ist. Vielleicht auch schon viel eher, ich weiß es nicht. Aber im Generellen behalte ich diese Teile meiner Identität für mich, weil ich auch merke, dass mir diese Identitäten nicht zuerkannt werden - vor allem durch Fragen wie „Woher kommst du?“ und noch viel mehr die misstrauische Nachfrage „Woher kommst du wirklich?“ auf meine Antwort „Aus Bayern/aus dem Ruhrgebiet.“ Ich weiß, wer ich bin und wer ich sein möchte.
Vielen Dank für das Interview!
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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 20. Mai 2021