Die Skizze eines Mädchens steht auf einem ebenso skizzenhaften Bett, um das allerlei Krimskrams liegt. Der Rücken ist dem Betrachter zugewandt; dem Anschein nach blickt sie auf einen in dunkle Nacht getauchten Strand, an dem das Meer in schaumigen Wellen ausläuft. Nina LaCours Jugendroman ist ein Kunstwerk – und damit meine ich nicht das Cover, das so meisterhaft künstlerisch wie schlicht ist. Es sagt nichts und doch sagt es alles. Alles, was im Leben wichtig ist. Es ist einfach: alles okay.
Auf das Buch an sich bin ich bereits vor einiger Zeit aufmerksam geworden. In den unendlichen Tiefen der englischdominierten Social Media Seiten schlägt LaCours „We are okay“ (so der Originaltitel) bereits seit seinem Erscheinen 2017 Wellen, ist noch immer auf geradezu jedem Jugendliteratur-Blog zu finden – für ein 200-Seiten Büchlein eine beachtliche Leistung. Natürlich hat mich das neugierig gemacht! Was veranlasst bloß all diese Leute, in so hochlobenden Tönen und doch so mysteriös („Ich kann gar nichts groß zum Inhalt sagen, ohne gleich alles zu verraten!“ scheint der allgemeine Chorus zu sein) davon zu schwärmen? Und: Ist es den Hype tatsächlich wert? Ich gebe zu, ich bin da sehr skeptisch. Oft können mich diese Hypewellen so gar nicht mitnehmen und ich bleibe dann doch trocken am Strand. Aber, was soll ich sagen? LaCour nimmt dich nicht einfach nur mit. „Alles okay“ ist ein Tsunami, der dich kalt erwischt und einmal quer durch dein Innerstes fegt. Diesem Hype kann und will man sich gar nicht entziehen.
Wir begegnen der Hauptfigur Marin, aus deren Sicht erzählt wird, in den Weihnachtsferien am College. Neben dem Hausmeister ist sie die Einzige auf dem eiskalt verschneiten Campus – eine Kulisse, die zu den ersten Eindrücken von Marin passt: regelrecht abweisend wirkt sie, verschlossen, aber das aus Kummer, Angst, vielleicht, weil einfach so viel Schmerz schon durchlitten wird/wurde, dass emotional einfach ein Deckel drauf muss. Und einsam. Tatsächlich habe ich mich von Anfang an sehr gut in sie hineinversetzen können, obwohl Marin selbst ihre Gefühle selten so harsch auf den Punkt bringt. Nina LaCour beschreibt nicht, sie erzählt. Sie drückt Gefühle aus anstatt sie einfach schnöde hinzuklatschen und das, obwohl ihr Werk ohne Schnörkel und ohne jegliche Beschönigung auskommt. Regelrecht sachlich wirkt es manchmal, beinahe hart und unbarmherzig. Wie das Schicksal, von dem hier erzählt wird. Denn Marin ist geflohen. Nicht vor Kriegen oder einem Regime oder ähnlichem. Im Grunde ist sie vor sich selbst geflohen, kurz vor dem Unistart, als ihr Großvater, bei dem sie aufgewachsen ist, gestorben ist. Und jetzt hat ihre ehemals beste Freundin aus Schultagen, Mabel, nur ein paar Tage um sie an die andere Marin, die Marin aus der „davor“ Zeit zu erinnern. Nur ein paar Tage, in denen Marin sich, ihr Leben, ihren Schmerz begreifen lernen muss, das Puzzle ihres Lebens zusammensetzten muss, um eine Entscheidung zu treffen. Denn wenn die Welt um dich herum einstürzt: Gehst du mit ihr unter oder kämpfst du dich raus? Und vielleicht ist ja am Ende Alles Okay.
Neben dem einzigartigen Schreibstil aus Sachlichkeit und purer Emotion, der eine ganz eigene Poetik erzeugt, hat mich vor allem die Intensität und Realität der Geschichte überzeugt. Sie kam natürlich, ohne auch nur einmal überzogen zu wirken oder unpassende Ausuferungen zu machen, nur um der Dramatik willen. Sie ist reduziert und sagt trotzdem alles, was zählt und von Bedeutung ist. Für mich ganz klar ein 5/5 Literaturschatz, dem ich jedem über 14 Jahren, egal ob Teen, Tween, oder Greis, ob Mädla oder Bube wärmstens empfehlen will – aber bitte nehmt Taschentücher mit und sagt später nicht, ihr wart nicht gewarnt – es ist ganz einfach ein Tsunami.
*Erschienen bei Hanser *
Autorin / Autor: cheshirekitty - Stand: 11. Oktober 2019