Bloß nicht übertreiben!
App warnt vor Handy-Abhängigkeit
Hier ne SMS geschrieben, da mal eben nen Smiley verschickt und die Neuigkeiten im sozialen Netzwerk gecheckt. Weißt du, wie lange du am Tag mit deinem Smartphone online bist? Schnell verliert man den Überblick. Wer eine digitale Diät nötig hat, das zeigt eine neue kostenlose App an: "Menthal" erlaubt es Smartphone-Nutzern, ihren Umgang mit dem Handy zu messen. Informatiker und Psychologen der Universität Bonn haben das Miniprogramm entwickelt. Wer es installiert, kann damit etwa sehen, wie viel Zeit er täglich mit dem Telefon verbringt und welche Anwendungen er am häufigsten verwendet. Die wichtigsten Kerndaten werden anonymisiert an einen Server übermittelt, wo die WissenschaftlerInnen sie auswerten. Die ForscherInnen nutzen bereits eine ähnliche Technik, um Depressionen frühzeitig zu erkennen.
Die App ist Teil eines größeren Forschungsvorhabens zur Untersuchung des Handygebrauchs. Die meisten Studien verlassen sich dazu bis jetzt auf Selbsteinschätzungen der NutzerInnen. Diese Angaben sind aber unzuverlässig. „Menthal liefert zum ersten Mal belastbare Daten“, sagt Alexander Markowetz, Juniorprofessor für Informatik an der Universität Bonn. „Die App kann uns detailliert zeigen, wie der durchschnittliche Mobiltelefonkonsum pro Tag ausfällt.“
*Alle zwölf Minuten auf das Handy geguckt*
In einer bislang unveröffentlichten Studie haben die ForscherInnen mit Menthal das Telefonverhalten von 50 Studenten über einen Zeitraum von sechs Wochen untersucht. „Die Ergebnisse waren zum Teil erschreckend“, kommentiert Dr. Christian Montagvon. So nutzte ein Viertel der Testpersonen das Telefon mehr als zwei Stunden pro Tag. Im Schnitt aktivierten die Studienteilnehmer 80 Mal täglich ihr Telefon – tagsüber durchschnittlich alle zwölf Minuten. Bei einigen Probanden fielen diese Zahlen gar doppelt so hoch aus.
*Die meiste Zeit geht für Messenger und Soziale Netzwerke drauf*
Der typische Nutzer telefonierte lediglich acht Minuten am Tag und schrieb 2,8 SMS. Der Hauptnutzen des Telefons lag dennoch in der Kommunikation: Mehr als die Hälfte der Zeit nutzten die Testpersonen Messenger oder tummelten sich in Sozialen Netzwerken. Alleine What'sApp schlug mit 15 Prozent zu Buche, Facebook mit neun Prozent. Spiele brachten es auf 13 Prozent, wobei einige Probanden mehrere Stunden am Tag spielten.
*Suchtgefahr?*
Das Hauptinteresse der Bonner ForscherInnen gilt dem problematischen Handygebrauch. „Wir wollen wissen, wie viel Mobiltelefon-Konsum normal ist und ab wann von einem Zuviel zu sprechen ist“, sagt Christian Montag. Das Nutzen eines Handys ähnele dem Umgang mit einem Glücksspielautomaten – deswegen werde das Telefon so oft angeschaltet. Bei dieser möglichen neuen Sucht handele es sich noch nicht um eine offiziell anerkannte Erkrankung. „Dennoch wissen wir, dass der Umgang mit dem Mobiltelefon suchtähnliche Symptome hervorrufen kann“, betont Montag. So könne ein übermäßiger Konsum zur Vernachlässigung von wichtigen täglichen Aufgaben oder des direkten sozialen Umfelds führen. „Bei Nichtnutzung kann es sogar zu regelrechten Entzugserscheinungen kommen.“
*Handy als Depressions-Detektor*
Die App entstand im Rahmen einer breiteren Initiative, Methoden der Informatik in die Psycho-Wissenschaften zu tragen – die WissenschaftlerInnen sprechen auch vom neuen Forschungsfeld der Psycho-Informatik. In einer aktuellen Publikation in der Zeitschrift „Medical Hypothesis“ erläutern sie, inwiefern Psychologie und Psychiatrie von den damit verbundenen Möglichkeiten profitieren könnten. „Es ist beispielsweise denkbar, Handydaten dazu zu nutzen, um Schwere und Verlauf einer Depression zu messen“, erläutert Montag. „Wir führen dazu gerade gemeinsam mit dem Psychiater Prof. Dr. Thomas Schläpfer vom Bonner Universitätsklinikum eine weitere Studie durch.“
Depressionen äußern sich unter anderem in sozialem Rückzug und der Unfähigkeit, sich an Aktivitäten zu erfreuen. Die Krankheit verläuft oft episodisch. „Wir vermuten, dass sich während einer depressiven Phase die Handy-Nutzung messbar ändert“, erläutert Prof. Schläpfer. „Der Kranke ruft dann beispielsweise weniger oft an und geht seltener vor die Tür – eine Verhaltensänderung, die Smartphones dank GPS ebenfalls registrieren können.“ Ein Psychiater könnte das Handy seiner Patienten also als Diagnose-Instrument nutzen und gegebenenfalls frühzeitig gegensteuern. „Das geht natürlich nur unter strikter Beachtung des Datenschutzes und nach Einwilligung der Erkrankten“, betont Markowetz.
Überhaupt sei die Einhaltung strenger Datenschutz-Regelungen bei der Auswertung derartiger Daten immens wichtig, sagt Markowetz. Die beteiligten ForscherInnen gehen in ihrer Veröffentlichung explizit auf die daten-ethischen Aspekte ihrer Arbeit ein. Mit der ärztlichen Schweigepflicht existiere eine bewährte Methode für den Umgang mit Informationen, die strikt auf die erhobenen Daten angewendet werde.
Mehr Infos im Netz
- www.menthal.org
Die Menthal-App erfordert das Betriebssystem Android 4.0 oder höher. Sie kann kostenlos aus dem Google Playstore oder unter www.menthal.org heruntergeladen werden. - www.sciencedirect.com: Big Data Shaping Modern Psychometrics
Publikation: Psycho-Informatics: Big Data Shaping Modern Psychometrics; Medical Hypothesis (http://dx.doi.org/10.1016/j.mehy.2013.11.030; im Druck)
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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 16. Januar 2014