Maggie erzählt im Interview mit Lizzynet über die Herausforderungen, die eine Behinderung im Alltag und auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt
Maggie ist 22 und hat eine Gehbehinderung mit Gleichgewichtsproblemen. Mitte 2018 hat sie ihre duale Ausbildung zur „Kauffrau für Büromanagement“ beendet. Mit Lizzynet sprach sie über die Herausforderungen, die eine Behinderung im Alltag und auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt.
*Wie bist du an die Ausbildungsstelle gekommen?*
Da mein Betrieb, die Lebenshilfe Ostfalen gGmbH Nähe Haldensleben, sich für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung einsetzt, bin ich mir ziemlich sicher, dass das der ausschlaggebende Grund war, weshalb ich den Ausbildungsplatz bekam. Tja, hat auch ein, zwei Vorteile, so eine Behinderung. ;)
*Wie lebst du?*
Ich wohne zu Hause bei meinen Eltern. Ganz alleine zu wohnen traue ich mir auf Grund der Behinderung nicht zu. Mit einem Partner würde es, glaube ich, psychisch schwierig werden, da ich sehr sehr viel Zeit für mich brauche. Unterstützung bekomme ich von meinen Eltern und dem Integrationsfachdienst.
*Wie war dein erster Arbeitstag in deinem Ausbildungsbetrieb?*
Verständlicherweise war ich total aufgeregt. Eine zukünftige Kollegin empfing mich sehr nett „Ihre Ausbilderin kommt etwas später, ich werde mich solange um Sie kümmern“. Wir gingen also in ihr Büro und besprachen einige allgemeine Sachen wie die Arbeitszeit und ob ich mitessen wolle. Kurze Zeit später kam meine Ausbilderin, stellte sich vor und bat mich, ihr in den Besprechungsraum zu folgen. Dort hatten meine 12 Kollegen eine kleine Willkommensfeier organisiert, Frau Moll hatte extra für mich gebacken.
*Und wie war es dann in der Berufsschule?*
Am ersten Schultag stellten sich die Schüler und die Lehrerin vor. Leider musste ich nach kurzer Zeit feststellen, dass von meinen 20 Klassenkameraden nur wenige daran interessiert sind, sich mit Leuten die „anders“ sind abzugeben. Nur Mandy, eine Mitschülerin, die auch nicht sonderlich beliebt war, hielt die ganzen 3 Jahre zu mir. Aber da ich mich mit meiner Kollegin super verstand und sie mich auch in Veranstaltungen mit einbezogen, war mir das egal.
*Wie äußerte sich dieses Desinteresse?*
Am letzten Schultag eines Schuljahres haben wir immer einen Ausflug gemacht. Bei der Entscheidung darüber, was wir unternehmen, haben meine Mitschüler kein Interesse gezeigt sich etwas auszusuchen, an dem ich auch teilnehmen konnte. Sie entschieden sich für Laser-Tec und schwimmen (ich habe auch eine Muskelschwäche). Als meine Lehrerin darum bat, dass sie sich für unseren Abschluss etwas aussuchen, wo ich auch teilnehmen kann, wurde gemeckert.
Oder eine andere Situation: Bei einer Gruppenarbeit wollte niemand außer Mandy mit mir zusammenarbeiten, da ich angeblich nicht mitarbeite.
*Wie bist du mit deiner Erkrankung umgegangen?*
In der Schule ging ich zur Lehrerin und fragte sie, ob es in Ordnung wäre wenn ich im Unterricht und in Tests am Laptop schreibe, da ich sehr langsam im handschriftlichen Schreiben bin. Sie sagte es wäre okay. Bei der Arbeit bin ich auch offen damit umgegangen, jedoch brauchte ich hier keine Hilfsmittel.
*Wie lief deine Prüfung trotz der Behinderung?*
Im April hatte ich meine schriftliche Abschlussprüfung. Da das Eintragen der Lösungsziffern auf den Auswertungsbogen mit der Hand erfolgt und nicht am PC möglich ist, bekam ich auch hier Hilfe. Eine ehemalige IHK-Mitarbeiterin saß mit mir in einem extra Prüfungsraum und hat für mich geschrieben.
Als ich am nächsten Tag zur Arbeit kam, wollten natürlich alle Kollegen wissen, wie es gelaufen ist. Ich berichtete und sagte, dass ich in ca. 2 Wochen das Ergebnis online sehen könnte.
Zwei Wochen später war Tag der Wahrheit: Ich rief die Seite auf, loggte mich ein und… OMG! Ich hatte einen Prüfungsbereich mit einer 2 und einen mit einer 3 bestanden und war zur mündlichen Prüfung zugelassen! Für diese habe ich im Vorfeld schon 2 Reporte in meinen Wahlqualifikationen (Assistenz + Sekretariat und Personal) geschrieben. Mit dem Sekretariatsreport wurde ich dann geprüft und habe auch hier bestanden. :-)
*Wie geht es weiter nach der Ausbildung?*
Da ich aus Finanzierungsgründen leider nicht übernommen wurde, kam ich am Tag nach der Prüfung, um meine Sachen abzuholen. Meine Kollegen haben eine Art Abschiedsfeier für mich organisiert. Ich hatte noch Sekt mit zum Anstoßen. Nachdem wir uns ausgetauscht hatten, wie die Prüfung war und wie es weiter geht, folgte ein emotionaler Abschied, da sich zumindest von meiner Seite her in den 3 Jahren zwischen manchen Kollegen und mir eine Freundschaft entwickelt hatte.
Zurzeit bin ich arbeitssuchend, aber ich danke meinen Lehrern, Kollegen und den IHK-Mitarbeitern für ihre Unterstützung.
*Welche Benachteiligungen erfährst du auf dem Arbeitsmarkt?*
In meinem zwei Monaten Arbeitslosigkeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass es, zumindest im Osten, kaum Arbeitgeber gibt, die Menschen mit Behinderung eine Chance geben. Es gibt zwar spezielle Internetseiten wie myhandicap oder capjob, aber die Jobs sind meist im Westen.
*Kennst du andere, die auch eine Behinderung haben? Gibt es Austausch untereinander?*
Aus der Reha und dem Krankenhaus kenne ich einige Leute mit Behinderung, allerdings wohnen die meist im Westen, wo die Situation besser ist. Vor einiger Zeit habe ich mit einer Frau telefoniert, die durch MS eine Behinderung hat und die meinte, dass viele Arbeitgeber einfach Angst vor dem Umgang mit uns haben.
*Was wünschst du dir generell von der Gesellschaft im Umgang mit Menschen, die eine Behinderung haben?*
Ganz klar: Gebt diesen Menschen eine Chance!!!! Auch wir haben Stärken und ich finde es sehr traurig, dass uns so wenige eine Chance geben. Eine Behinderung kann jeden treffen.
*Welchen Wunsch würdest du dir als ersten erfüllen, wenn du keine Beeinträchtigung hättest?*
Aufgrund meiner Gleichgewichtsprobleme kann ich kaum alleine öffentliche Verkehrsmittel nutzen und bin immer darauf angewiesen, dass jemand mitkommt. Als erstes würde ich also gern irgendwo Urlaub machen.
*Vielen Dank für deine Offenheit und das Interview!*
Autorin / Autor: Maddl96/ LizzyNet - Stand: 12. September 2018