Bus 57
Autorin: Dashka Slater
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ann Lecker
Sasha mag die Pläne von U-Bahn-Netzen, erfindet gerne neue Sprachen und schreibt eigene Gedichte. An manchen Tagen trägt Sascha Hosen, an anderen Tagen Röcke. Saschas Familie und Freunde haben sich daran gewöhnt, Sascha mit anderen Pronomen und ungewohnten Wörtern wie „queer“ oder „agender“ zu beschreiben.
Richard ist ein fröhlicher Junge. Er rauft sich gerne und schlägt auch öfter mal über die Stränge. Er gerät hin und wieder in Schwierigkeiten, doch bisher ging am Ende doch immer alles gut aus. Sein Vater starb im Kugelhagel eines Gang-Konflikts. In einem Polizeiverhör bezeichnet Richard sich selbst als „homophob“.
Die beiden Jugendlichen verbindet nicht viel; sie leben in unterschiedlichen Communities der gleichen Stadt. Während Sasha behütet und wohlhabend aufgewachsen ist, in einem diversen und offenen Umfeld, kommt Richard aus einem Problemviertel, in dem Gang-Kriminalität und Gewalt zum Alltag gehören. Eines Tages kreuzen sich ihre Wege: Sasha döst in einem Stadtbus; heute ist ein Tag, an dem Sasha einen Rock trägt. Richard steigt mit ein paar Freunden zu, die ihm ein Feuerzeug reichen, und auf Sashas Rock zeigen. Was ursprünglich ein blöder Scherz ist, wird später als Hassverbrechen vor Gericht verhandelt.
*Meine Meinung zum Buch*
Dashka Slater erzählt sehr einfühlsam zwei Geschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie verzichtet dabei auf Label wie „Opfer“ und „Täter“ und beschreibt Sasha und Richard stattdessen genau so, wie sie sind. Beide haben eine Familie, die sie liebt, einen Schulalltag, der sie prägt und Dinge, die sie beschäftigen. Dabei gelingt es der Autorin, Richards Persönlichkeit authentisch abzubilden, ohne dabei seine Tat oder seine Schuld zu relativieren. Obwohl Richards Schuld nicht in Frage gestellt wird, schafft sie es, die Person hinter der Tat darzustellen und ihr ein Gesicht zu geben. Auch Richard ist ein Mensch. Auch Richard verdient Vergebung – was nicht bedeutet, dass er seine Strafe nicht verdient hat. Gleichermaßen wird die Lebenswelt von Sasha liebevoll dargestellt. Neben persönlichen Informationen und Details aus Sashas Alltag werden immer wieder Informationen über die Rechte und Probleme von nicht-binären Personen eingeflochten, die dem Leser helfen, auch auf der Sachebene einen Zugang zum Thema zu finden und dadurch ein tieferes Verständnis für Sasha zu entwickeln. Die Kapitel über Richard werden ebenfalls durch weiterführende Informationen ergänzt; hier geht es meist um die Situation farbiger Jugendlicher in den USA, die scheinbar überproportional häufig in Justizvollzugsanstalten landen und dort auch höhere Strafen absitzen müssen als ihre weißen Altersgenossen.
Insgesamt ist es der Autorin gelungen, ein Buch zu schreiben, das den Leser berührt und zum Nachdenken bringt, ihn aber auch in die Lage versetzt, sich selbst ein Urteil zu bilden über das, was er über Sasha, Richard, und den Vorfall im Bus 57 erfahren hat. Ein wirklich lesenswertes und sehr reizvolles Buch, da die Geschichte eine wahre Begebenheit erzählt, die sich jeden Tag wieder genau so abspielen könnte.
*Erschienen bei Loewe *
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Autorin / Autor: lacrima - Stand: 12. April 2019