Cosmopolis
Ein Thriller, bei dem man den Boden unter den Füßen verliert
Eine weiße Stretchlimousine, ein lederner, thronartiger Sitz. Überall blau leuchtende Displays, Marmorboden. Ein maßgeschneiderter Anzug, Designerbrille, gelackte Haare. Erin Packer (Robert Pattinson) ist zweifellos ein dekadenter Mistkerl. Und diesen Status hat sich der Spekulant zweifelsohne hart erarbeitet. “Ich will mehr, zeig mir was, das ich noch nicht kenne”, sagt er einmal. Maßlos greift er nach allem, was sich ihm bietet, für ihn gibt es keine Grenzen, er weiß alles, hat alles, will alles. Auf den Straßen New Yorks herrscht reges Treiben, doch der amerikanische Präsident und demonstrierende, gewaltbereite Globalisierungsgegner scheren Packer keinen Deut: Er will sich seine Haare schneiden lassen. Und nimmt dafür eine 24-stündige Odyssee durch die Metropole in Kauf. Auf dem Weg trifft er seine Ehefrau, Geschäftskollegen, seinen Arzt, seine Affären, Sicherheitsbeamte; beginnt sowohl an sich als auch an der Welt zu zweifen, zu hinterfragen, zu negieren. Letztenendes muss er sich seinem potentiellen Mörder (Paul Giarnatti) stellen, und der Showdown gipfelt in einem endlosen Dialog.
Die Dialoge: zweifellos das Herzstück des Films. Man kann denken, es passiert rein gar nichts, aber in Wirklichkeit passiert eine ganze Menge. Die Verfilmung des Romans von Don DeLillo kommt mit allzu wenig Änderungen daher, Regisseur und Drehbuchschreiber David Cronenberg habe gar nur die Lücken zwischen den Dialogen gefüllt. Und diese Dialoge sind schlichtweg grandios – philosophisch, reflektierend, kritisch. Und beinahe allgegenwärtig. Selbst während Packers Prostatauntersuchung hat er noch so einiges mitzuteilen. Zudem werden die Sätze aus dem Roman von den Schauspielern 1:1 wiedergegeben, was teilweise sehr poetisch und ein bisschen surreal wirkt.
Packer stellt sich selbst in das Zentrum der Welt, und das ist er auch im Film. Abgekapselt vom Rest der Welt, in Gedanken versunken, verunsichert ob der Zukunft. Von Vorahnungen beschlichen weiß er, dass die Welt vor einem Abgrund steht, auf den er in seiner Limousine gradewegs zuzufahren scheint. In jeder Szene zu sehen, residiert er meist in seiner gepanzerten und schallgeschützten Limousine, während die Gesprächspartner ein und aus gehen. Die Limousine erscheint wie eine Theaterbühne, auf der die Welt erklärt und verstanden werden will. Hier kann Packer Frauen empfangen, sich seinen Geschäften widmen, sich vom Arzt untersuchen lassen und sogar pinkeln – in ein ausfahrbares Pissoir. Ziemlich schräg das alles, und wer keine Lust auf theoretische Fachsimpeleien und eine pessimistische Weltanschauung hat, sollte sich den Film besser sparen.
Es bleibt eine Unsicherheit darüber zurück, ob eine Filmversion nötig gewesen wäre. Die Dialoge hätte man auch in der Romanvorlage finden können. Auch sind diese in solch einer komprimierten Menge nicht so leicht zu verdauen. Besonders im letzten Drittel des Films, das in einem 20-minütigen Dialog gipfelt, der eigentlich als Höhepunkt angedacht war, brennt einem irgendwo eine Sicherung durch. So schön die Dialoge auch sind, 108 Minuten sind eindeutig zu lang für solch ein Vorhaben. Schade!
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Autorin / Autor: Annika Willinger - Stand: 08. Juni 2012