Das neue Upgrade

Von Marvin Czerlinski, 25 Jahre

Ich hielt das Paket in meinen Händen.
„Mach es endlich auf, Daddy!“, sagte meine Tochter und klatschte ganz aufgeregt in die Hände.
Sie war sechs Jahre alt. Ein Alter, in dem man noch hinter jedem Paket ein Geschenk für sich erwartet. Ich habe ihr nicht erzählt, was wirklich in diesem Paket war. Sie würde es noch nicht verstehen. Sie würde nicht verstehen, dass sich in meinen Händen die Lösung für das größte Rätsel der Menschheit befand.
Es ist erst einige Wochen her, dass der Durchbruch in den Medien verkündet wurde. Wir saßen im Wohnzimmer und schauten uns einen Film im Fernsehen an, als dieser durch die Eilmeldung unterbrochen wurde. Wenige Tage später begannen sie schon mit der Produktion. Man stelle sich nur die Möglichkeiten vor, sagten sie. Selbstständiges Handeln, die Entwicklung eigener Persönlichkeiten und das Aufbauen echter Beziehungen.
Ich wollte meine Tochter nicht länger auf die Folter spannen. Ich öffnete das Paket und holte eine kleine Flasche heraus. Die Flasche hatte ein Ventil und ein dünner Schlauch war an ihr befestigt. Ich blickte zu meiner Frau.
„Aus mehr besteht es also nicht.“, sagte ich zu ihr.
„Erstaunlich.“, erwiderte sie.
Meine Tochter gab einen lauten Seufzer von sich.
„Das ist ja gar kein Geschenk für mich.“ Sie zog ihren berühmten Schmollmund.
„Nein, tut mir leid Schatz.“, sagte ich zu ihr. „Aber es ist ein Geschenk für Alfred. Geh ihn doch einmal holen. Er müsste gerade in der Küche sein.“
„Na guuut. Aaaaaaalfreeeeed.“, rief sie und rannte aus dem Zimmer.
Kurze Zeit später erschien sie mit Alfred an der Hand wieder bei uns.
„Die kleine Lucy hier hat mir erzählt, dass sie mich sprechen wollen, Sir.“, sagte er mit seiner gewohnt enthusiastischen Stimme. „Ich war gerade dabei, den Abwasch zu erledigen und danach wollte ich den Rasen mähen, Sir.“
„Das kannst du später machen, Alfred.“, sagte ich zu ihm. „Jetzt habe ich erst einmal eine Überraschung für dich.“
„Eine Überraschung, Sir?“
„Ja, Alfred. Ein neues Upgrade.“
„Oh, wie schön, Sir. Das letzte Upgrade war eine wunderbare Erweiterung. All diese neuen Gerichte. Heute Abend werde ich ihnen…“
Ich drückte den Schalter und seine Augen fielen zu. Ich wollte es endlich ausprobieren.
Den Schlauch führte ich an die vorhergesehene Stelle und öffnete das Ventil der Flasche. Daraufhin floss eine blaue Substanz in Alfreds Körper.
„Was ist das, Daddy? Hat Alfred etwa Durst?“, fragte Lucy.
„Ja, mein Schatz, das hat er.“, antwortete ich und strubbelte durch ihr Haar.
Als der letzte Tropfen in Alfreds Körper war, entfernte ich den Schlauch und schaltete ihn wieder ein. Er schlug seine Augen auf.
In diesem Moment konnte ich nicht genau sagen, was es war, aber seine Augen waren anders. Sie waren nicht mehr nur zwei schwarze Punkte, die ruhelos in einem Gehäuse auf und ab sprangen.
„Wie geht es dir Alfred?“, sagte meine Frau und riss mich aus meinen Gedanken.
Alfred antwortete nicht gleich. Er sah sich um und fixierte jeden Einzelnen von uns. Dann senkte er den Blick und hielt sich seine Hände vor das Gesicht. Langsam bewegte er Finger um Finger.
„Ich weiß es nicht.“, antwortete er schließlich. Den Blick immer noch an die Hände geheftet.
Auch seine Stimme war nicht die alte. Sie schien nicht mehr nur ein Ergebnis von Codes und Algorithmen zu sein. Eine gewisse Eigenheit und Dynamik konnte ich hören.
„Ich weiß nicht, ob das so sein soll, Mark.“, sagte meine Frau zu mir.
Sie hatte recht. Auch ich hatte etwas anderes erwartet. Jedoch wollte ich sehen, wie sich dieser neue Alfred verhielt.
„Alfred“, sagte ich zu ihm. „Mach den Abwasch fertig.“
Doch sein Kopf war immer noch gesenkt und er reagierte nicht auf meinen Befehl. Mittlerweile tastete er mit den Händen seinen Körper ab.
„ALFRED!“
Er schaute auf und sah mich an. Tiefe, nachdenkliche Augen.
„Du sollst den Abwasch fertig machen!“, sagte ich noch einmal zu ihm.
„Ich denke nicht, dass ich das tun werde.“, antwortete er.
Ich war sprachlos.
„Mami, Mami. Was ist denn mit Alfred los?“, fragte meine Tochter. Auch sie merkte es.
„Ich weiß es nicht, mein Schatz. Mark, bitte stell ihn aus.“
Das hielt ich für eine gute Idee. Die Formel war wohl noch nicht ganz ausgereift…
Ich ging also zu Alfred und wollte ihn wieder auf Stand-by stellen. Doch kurz bevor ich den Schalter erreichte, packte er mich am Handgelenk und hielt mich davon ab. Seine Kraft war enorm, so dass ein heftiger Schmerz meinen Unterarm durchströmte. Ich schrie kurz auf.
Daraufhin stürmte Lucy auf Alfred zu und hämmerte mit ihren kleinen Fäusten auf ihn ein. Dumpfe, metallene Geräusche.
„Lass Daddy los!“
Meine Frau reagierte gedankenschnell und zerrte Lucy von Alfred weg.
Dann ließ Alfred meinen Unterarm los und blickte mich ruhig an.
„Ich werde jetzt gehen.“, sagte er.
Ich erwiderte nichts. Ich sah, wie unser einst treuer Alfred zur Tür ging und das Haus verließ.

Autorin / Autor: Marvin Czerlinski