Das Schwein von Gaza
Daumen hoch: Politische Konflikte amüsant verpackt & ein Schwein im Schafspelz als Hauptdarsteller
Schweine gelten in Gaza als unrein. Umso erschreckender ist es für Fischer Jaffar (Sasson Gabay), als ihm statt der gewohnten kleinen Fische nun ein ausgewachsenes Borstenvieh ins Netz geht. Nun steht er vor einem riesigen Problem, denn das Schwein lässt sich nicht so einfach vertreiben. Als er sich in seiner Not auf einen Handel mit den verfeindeten Israelis einlässt, wird alles immer nur noch schlimmer: Yelena (Myriam Tekaïa) kann zwar ein männliches Schwein gebrauchen, will Jaffar aber dennoch nur das Sperma abkaufen. Für die Israelis gilt das Schwein zwar ebenfalls als unrein und darf den heiligen Boden nicht betreten. Der Trick: Die Schweine einfach auf Holzbrettern halten und ihnen Socken über die Hufen stülpen! Pechvogel Jaffar muss bei dem Schwein sogar selbst Hand anlegen, um sich aus der finanziellen Krise zu retten... Die aufkeimende Komik wird dann aber wieder zunichte gemacht, als Jaffar erfährt, dass die Schweine dazu benutzt werden, um Sprengstoff aufzuspüren – Jaffar könnte also so für einen Spion gehalten werden.
Der Film springt immer wieder von lustigen zu tragischen Momenten, ohne dabei die Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und genau dieser Spagat zwischen den Polen ist es, was den Film gelungen macht. Ohne das Thema ins Lächerliche zu ziehen, erhält man einen Einblick in eine uns fremde Welt, mit der man aber immer wieder von Weitem in Berührung kommt. So schafft es Jaffar, irgendwie der Verräterrolle zu entschlüpfen und sich den radikalen Muslimen für ein Komplott zur Verfügung zu stellen. Als überlebender Selbstmordattentäter wird Jaffar sogar wie ein Popstar gefeiert, ohrfeigt aber einen Jungen, der behauptet, später auch mal ein Märtyrer werden zu wollen. Gewalt scheint für Jaffar keine Lösung zu sein, und so sind am Ende alle auf der Flucht und streben gen Meer...
Die Bewohner des Gazastreifens, der an der Küste von Israel liegt, haben schon lange unter dem alltäglichen Überlebenskampf, den Zwängen des israelischen Militärs und dem Diktat der islamischen Fundamentalisten zu leiden. Der französische Regisseur Sylvain Estibal beschreibt seinen Film als einen vom Lachen erstickten Wutschrei. Die Israelis und die Palästinenser sollten seiner Ansicht nach zum Lachen gebracht werden und ihre Situation als absurd ansehen können, um wenigstens ein Stück weit aus der festgefahrenen Situation ausbrechen zu können. Was sie verbindet? Die Abscheu vor Schweinen. Das Schwein wird somit zum Botschafter für den Frieden. Aber auch das Fernsehprogramm verbindet: So landen Jaffars Frau Fatima (Baya Belal) und ein israelischer Soldat, der auf dem Hausdach seinen Posten bezog, gemeinsam vor dem Fernseher und schauen in einer brasilianischen Telenovela einem Pärchen beim Streiten zu. Als Fatima später aus ihrem Haus vertrieben wird, verrät ihr der Soldat, dass das Pärchen in der Serie sich letztlich doch noch vertragen wird. Somit transportiert der Film immer wieder kleine Hoffnungssplitter, zeigt Gemeinsamkeiten zwischen den Lagern auf, und hält sich tapfer auf der absurd-skurillen Seite. Somit wird aus einem ernsten Thema Kino, das einem andere Seiten aufzeigt, ohne dabei die Wirklichkeit aus den Augen zu lassen.
Jaffar ist zwar nur ein einfacher Fischer, der noch nicht mal mit viel Glück gesegnet ist. Trotzdem verlässt ihn nicht der Mut, und er legt sich weiterhin tapfer mit allen Kontrahenten, die sich ihm in den Weg stellen, an. Jaffar verkörpert ein einzelnes Individuum, das in einem umfassenden Konflikt gefangen ist – und auszubrechen versucht. An den Rand seiner gesellschaftlichen Gruppierung getrieben, trifft er auf Yelena, die ebenfalls nicht richtig zu ihrer Gruppierung dazugehört und als Schweinezüchterin eine Außenseiterrolle annimmt. Aber auch sie hat Überzeugungen, für die sie eintritt. Den Hauptpersonen ist gemein, dass sie unabhängig leben wollen und dafür auch bereit sind, einiges einzustecken. Das ist sympathisch, optimistisch und ziemlich wohltuend – vor allem bei solch einem sensiblen Thema.
Estibal wollte einen schlafwandlerischen Film schaffen, der keine fehlerhafte Wirklichkeit zeigt, sich aber dennoch von ihr distanziert. Die Intention erkennt man in der skurillen Geschichte mit anschließender Katz-und-Maus-Jagd auch wieder, in den letzten Szenen aber verrennt er sich in allzu poetisch gemeinten Bildern. Kurzweilige Unterhaltung mit ernstem Hintergrund, aber sicherlich nicht für jeden gemacht.
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Autorin / Autor: Annika Willinger - Stand: 19. Juni 2012