">>Wer, fragt sie, den Blick immer noch auf den Jungen gerichtet, >>ist das? <<"...">>Das, Großmutter, ist ein Mensch<<".
Das Erste, was ins Auge fällt beim Roman von Nicky Singer ist nicht nur das Thema, sondern auch die Gestaltung, das Cover ist sehr künstlerisch, spricht eine ganz eigene Sprache und passt so gut zu der Sorgfalt der ganzen Geschichte und ihrem Zauber.
Es ist, wie die Geschichte auch, ganz eigen.
Die Welt der 14-jährigen Mhairi bewegt sich in der Zukunftsversion, die viele befürchten. Es gibt nicht genug Wasser, die Erderwärmung hat bereits schlimmste Konsequenzen, sie ist mit einem Revolver auf der Flucht in den Norden, nur um überleben zu können, da dort, wo sie vorher gelebt hat, die Erde unbewohnbar ist. Ihr Weg führt von Khartum nach Schottland, obwohl sie ganz ursprünglich auch schottische Wurzeln hat, was ihr aber bei der Einreise nichts mehr nutzen wird.
Es ist eine Welt, in der alle Bäume entwurzelt sind, Stürme töten können und die Menschen, trotz Weltbürgerpässen oder gerade deswegen, die alles kontrollieren (von Leistungspunkten für gesellschaftliche Einsätze bis hin zu Beziehungen - mit Hilfe von Taserchips beispielsweise um Menschen voneinander fernzuhalten, da sie sonst Stromstöße erhalten - und Hintergründen sowie Lebenswegen), in ihrer Menschlichkeit abgestorben sind. Alle Erfahrungen, die nicht verarbeitet werden können, werden in die FESTUNG gesperrt, sämtliche unerträgliche Emotionen auch, wodurch die Menschen sich selbst und anderen gegenüber immer stumpfer werden, genauso wie durch den Überlebenskampf.
Drohnen fliegen Kontrollflüge, die schlimmeren tragen Waffen. Dazu die Dürre und die fehlenden Ressourcen.
Wenn Mhairi Menschen begegnen, sind sie zuerst einmal eine Gefahr, ihre Frage ist zuerst, ob sie sie, wenn nötig, töten könnte. Damit sie sicher in den Norden gelangen kann, der einzige Ort, wo noch genügen Wasser zu finden ist.
Dazu kommt, dass es für alle Weltbürgerinnen und -Bürger aufgrund der Überbevölkerung verpflichtend ist, mit 74 mit Hilfe einer Spritze ihr Leben aufzugeben, diese Lebensjahre können auch abgegeben werden, "mit fünfzehn kannst du anderen einen Teil deines Lebens schenken. Du kannst versprechen, zu sterben", dies wird unter Global-Life-Limit gefasst.
Auf der Flucht in den Norden begegnet Mhairi ein kleiner Junge, der sie von da an begleitet und mit ihren eigenen schlimmen Erfahrungen konfrontiert. Wie die Tatsache, dass ihre Eltern auf der Flucht umgebracht wurden (von einem Soldaten, der fast noch ein Kind war) oder sie fast von einem Mann vergewaltigt wurde und einen anderen kleinen Jungen, Muhammad, auf der Flucht zurücklassen musste.
Die Welt von Mhairi hat einerseits so viele Entwicklungen, die viele heute als gut bezeichnen, wie den Weltbürgerpass oder das Solarhandy, Öko-Energie-Anlagen und andererseits ist es die unmenschlichste Umgebung, die vorstellbar ist.
Mit dem Weltbürgerpass wird verhandelt, wer leben kann und wer nicht, durch die Punkte, die du durch gesellschaftliches Engagement bekommen kannst.
Alle Technik samt Solarhandy dienen eher der Überwachung und Kontrolle als irgendeinem Fortschritt und dem Auffinden von Flüchtenden.
Mhairi denkt vor allem daran, nicht zu verhungern
Mhairi verändert sich sehr durch die Flucht und durch die Begegnung mit dem Jungen. Neben den Soldaten und Verwaltungsangestellten, die ihr und allen anderen gegenüber nicht sehend und sehr kalt sind, gibt es auch Menschen, die ihr helfen. Ein Arzt, der ihr auf leise Art hilft, Phil, mit dem sie gemeinsam herausfindet, welche Werkzeuge sich auf der Flucht eignen und wie sie überleben kann oder Miss Sperry, die ihr und dem kleinen Jungen hilft, zu der Insel Arran zu gelangen. Dort begegnet sie Peter und merkt zum ersten Mal, wie das ist, wenn sie einen Menschen mag, die Gespräche leicht sind und sie sich hingezogen fühlt.
Das Ende des Buches ist sehr bewegend und überraschend, der kleine Junge, der Mhairi die ganze Zeit begleitet hat, handelt ganz anders als gedacht. Das und die ganzen Menschen, die doch noch etwas fühlen und wahrnehmen für sich und für andere, sind das, was die Geschichte so bewegend und verändernd macht.
Es lässt sich unendlich viel über den Roman sagen, aber vielleicht ist das Wichtigste, was ich dazu sagen kann das, dass ich nach der Geschichte noch eine Woche lang immer wieder nachdenklich dasaß oder mir Textstellen eingefallen sind und die Geschichte sogar bewirkt hat, dass ich anders gehandelt habe.
Das Zitat aus dem Roman möchte ich dann ans Ende stellen, weil es gut ausdrückt, was der Roman bewirkt, darüber nachzudenken, welche unsere eigenen Entscheidungen in einer grausamen Welt sind und sein werden:
"Vergiss nie die Macht deiner Entscheidungen, Mhairi... inzwischen weiß ich, dass am Leben bleiben nicht genug ist. Nicht das Einzige, was zählt. Es kommt darauf an, wie du am Leben bleibst".
*Erscheint 2019 bei Dressler*
Autorin / Autor: Sabrina Bowitz - Stand: 14. Januar 2019