Der epic fail der Hipster

Alina philosophiert ein bisschen über die aktuelle "alternative" Szenegruppe und unbewusste Gruppenzugehörigkeit inklusive chronischer Erblindung.

Alina

Sie sind „Die Alternativen“: in zerfetzten Strumpfhosen, mit Baumwollbeuteln bewaffnet, schlürfen sie in ranzigen Elektroschuppen ihr Szenegetränk Club Mate. Das Jeanshöschen von Mutti auf Taillenhöhe, das Haar hoch zu einem Dutt gebunden. Mit Händen voller schwerer Ringe, tippen sie in ihre uralten Handys oder schießen Fotos mit uralten Kameras, oder eben dem Smartphone und nutzen den Instagramm-Effekt, um das Bild alt aussehen zu lassen. Aber nicht nur Mode und Stil müssen außergewöhnlich sein. Auch bei der Musikwahl legen die "Hipster" Wert auf Kontraste: Elektro und Dubstep muss es sein… und es sollte komisch klingen, unmelodisch. Gute Laune ist schon lange nicht mehr angesagt. Alles stammt aus einer anderen Zeit und ist staubig, bedeutungsvoll, künstlerisch, ernst. 

*Melancholische Verschlossenheit*
Das ist die zurzeit angesagteste Szene Deutschlands. Wir haben ja alle schon einmal einen Trend mitgemacht und uns einen Kleidungsstil, Musikgeschmack und sogar Sprachausdruck angeeignet bzw. von unseren Freunden übernommen. Wir wollen also niemanden verurteilen! Nervig wird es nur, wenn das zur Überheblichkeit führt. Meiner Erfahrung nach ist es keine Seltenheit, dass „Hipster“ eine gewisse Arroganz mitbringen. So haben einige, nicht alle, beispielsweise eine melancholische Verschlossenheit, die vor Jahren wahrscheinlich ihr Verhängnis war, jetzt aber zum individuellen Image beiträgt. Jetzt kann mangelhaftes Sozialverhalten für sich genutzt werden und gehört sogar zum guten Ton, nach dem Motto: “Ich bin nicht schüchtern, ich will wirklich nicht mit dir reden!“. Sich einer Gruppe hingebungsvoll anzuschließen hat, meiner Meinung nach, definitiv negative Auswirkungen auf das allgemeine Sozialverhalten. Das jedenfalls ist mein Fazit des folgenden Erlebnisses.

*Rauchende Zeitreisende*
Neulich sind eine Freundin und ich in dem wohl alternativsten Schuppen Kölns gelandet: Zum Scheuen Reh. Bis dahin hatte ich mich eher von Clubs dieser Szene ferngehalten; plötzlich landeten wir in der Masse und waren umgeben von rauchenden Zeitreisenden. Als „Normalos“ fühlten wir uns fast schon unwohl, blieben aber ein wenig. Meine kommunikative Freundin mit ihrem frechen Humor sah es natürlich nicht ein, sich der starren Coolness anzupassen und nutzte jede Gelegenheit, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Auf dem Klo, an der Bar, vor dem Club. Sie stieß aber immer und immer wieder auf verwirrte Gesichter. Diese Menschen waren es wohl entweder einfach nicht gewohnt mit fremden Menschen in Kontakt zu treten und hatten gelernt, dies mit ihrem "geheimnisvoll-Getue" zu verbergen, oder sie glaubten mittlerweile ernsthaft, sie seien zu cool für lockere Gespräche und geben sich nur mit Leuten ihrer Szene ab. Wir sagten nur „Manche Menschen können anscheinend nicht mit Freundlichkeit umgehen“ und wechselten den Club.

*Warum nicht zu einem einfach verdammt geil klingenden Popsong tanzen?*
Natürlich kenne ich auch einige charakterstarke Personen, die einfach Gefallen an diesem Trend und Stil finden, der ja auch interessant ist und mitreißend sein kann. Das sind die, die Mode und Musik mitmachen, aber auch offen für alles andere bleiben und die Szene nicht von sich Besitz ergreifen lassen. Aber es gibt eben auch jene, die irgendwann anfangen, ihre Kleidung für sich arbeiten zu lassen und Menschen, die nicht Vintage tragen gleich abstempeln. Es ist wirklich schade zu sehen, wie so ein Trend Grenzen zieht zwischen Menschen, die doch eigentlich alle irgendwo gleich sind. Wenn sich alle zu schade sind, mal einen „Mainstream-Song“ gut zu finden und laut mitzusingen, mit knallroter Regenjacke rumzulaufen oder über seine Liebe zu den Spice Girls zu lachen. Es gibt heutzutage wirklich genug Menschen, die sich selbst so einschränken und sich vorschreiben, nur Musik gewisser Genres gut zu finden, denn Songs die beim ersten Hören ansprechend klingen, sind was für das niedrige Volk. Schwachsinn! Warum nicht alle auch mal dasselbe gut finden und zu einem einfach verdammt geil klingenden Popsong tanzen? Kann einem eigentlich nur leid tun, wenn Menschen sich so verschließen vor allem, was anders ist und nicht "ihren Ansprüchen entspricht". Ich denke, wenn man sich selbst so ernst nimmt und „wegsperrt“, verpasst man richtig viel und hat es schwerer, locker und man selbst zu sein. Viel "cooler" wäre es doch, das was uns äußerlich voneinander unterscheidet zu überwinden und uns auf das einzulassen, was uns alle verbindet. Ich warte nur darauf, dass dieser Trend endlich in Deutschland ankommt; denn alternativ-individuell wäre er allemal.

Wie sieht deine Erfahrung mit Szene-Leben aus?

Autorin / Autor: Alina - Stand: 18. Juli 2012