Der Weg nach al-Andalus
Autor: Martín Blasco
Aus dem Spanischen von Katharina Diestelmeier
Alchemie, Orient, Märchen aus Tausendundeiner Nacht ... all diese Elemente, die schon für sich genommen zum Träumen anregen, vereint Martín Blasco in seiner Erzählung Der Weg nach al-Andalus – ein kleines und feines literarisches Juwel, das von der ersten Seite an den Leser gefangen nimmt.
Im Bagdad des 12. Jahrhunderts wächst der kleine Yusuf in ärmlichen Verhältnissen auf. Er verbringt seine Kindheit auf dem Suk und hilft fleißig den Händlern, indem er mit seinem unbeschwerten und offenherzigen Charme die Kunden an ihre Stände bringt. Doch auch Yusuf selbst lässt sich verführen und schließt sich als Zehnjähriger aufgrund falscher Versprechungen einer Diebesbande an, die schließlich bei einem Einbruch erwischt wird – Yusuf wird gefangen genommen und muss über sieben lange Jahre als Sklave im Haus eines skrupellosen Händlers dienen. In dieser Zeit verhärtet sein Herz, und er wird zu einem illusionslosen und zynischen jungen Mann, der vom Leben nichts mehr erwartet.
So kümmert es Yusuf auch wenig, als er nach einer Schlägerei auf dem Markt im Gefängnis landet; er brütet allein in seiner Zelle vor sich hin und nährt seinen Hass gegen die gesamte Menschheit und die Ungerechtigkeit des Schicksals. Dann jedoch wird ein kranker Greis zu ihm gesperrt, und in ihrer zweijährigen gemeinsamen Haft entsteht zwar keine Freundschaft, aber doch eine tiefe Vertrautheit zwischen Yusuf und dem Alten, der selbst ein Dieb ist und stets Geschichten aus seinem Leben zum Besten gibt.
Im Sterben vertraut er Yusuf sein größtes Geheimnis an: Er erzählt ihm die Legende vom Silbernen Stab, in den der einzige existierende Stein der Weisen – jene Substanz, die alles in Gold verwandeln kann und ihren Besitzer zum mächtigsten Mann der Welt macht – eingelassen ist. Der Greis jedoch behauptet, dass der Stein tatsächlich existiert, und er weist Yusuf auch den Weg dorthin: In al-Andalus, vor den Toren der Stadt Córdoba, wird er den derzeitigen Besitzer des Stabes finden.
Yusuf ist von der Geschichte fasziniert, und sie entfacht neuen Lebenswillen und ein neues Ziel in ihm: Er will den Stein an sich bringen, koste es, was es wolle! So gelingt ihm die Flucht aus dem Gefängnis, und eine lange, entbehrungsreiche Odyssee durch die Wüste und über das Meer führt ihn schließlich in der Tat bis nach al-Andalus. Er findet auch das Haus des Gelehrten Abdu Rahman, der im Besitz des Stabes ist, und wird sein Schüler – immer in der Absicht, bei guter Gelegenheit den Stab zu entwenden. Doch die Gesellschaft Rahmans und seine Erlebnisse in der Fremde beginnen, den Dieb zu verändern ...
Yusufs Sohn erzählt die Geschichte seines Vaters, und in der poetischen Sprache der Erzählung wird das Geschehen unmittelbar im Kopf des Lesers lebendig. Der Zauber und die Exotik der Schauplätze und der Handlung fesseln und faszinieren zugleich, und auch die Spannung kommt beim Lesen an keiner Stelle zu kurz. Trotz seines geringen Umfangs hinterlässt das Buch einen tiefen Eindruck, denn neben einer inhaltlich wie sprachlich beeindruckenden Geschichte hält die Lektüre auch zwischen den Zeilen Stoff zum Nachdenken für den Leser bereit – letztlich ist Der Weg nach al-Andalus eine tiefgründige, philosophische Parabel auf die Sinnsuche und das Leben, und berührt somit Fragen, die sich wohl jeder von uns zu irgendeinem Zeitpunkt stellt. In jedem Fall aber entführt das Buch aus dem Alltag und lädt zum Träumen ein – eine absolute Leseempfehlung, mit der man sich einfach einmal fallen lassen und alles um sich herum vergessen kann!
*Erschienen bei Carlsen*
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Autorin / Autor: fabienne - Stand: 5. Mai 2014