Diät-Intelligenz

Von Timothy, 23 Jahre

„Ich bin zu fett.“ Das hatte ich schon hundert Mal zu Marie gesagt, aber bisher immer mit Humor. Dieses Mal nicht. Dieses Mal mit Angst. Was hatte der Arzt gesagt? Mögliche Organversagen? Weiß der Mann denn nicht, dass es Essen aus Panik gibt und ich dadurch noch dicker werden könnte? Naja, irgendwie hat es gewirkt, denn gleich am nächsten Tag habe ich meine Mitbewohnerin gefragt, ob sie mir nicht helfen will beim Abnehmen. Sie sagte: „Ja Max! Super tolle Entscheidung! Ich hab so viele Ideen, verdammt das wird super.“ Diese Begeisterung ängstigte mich noch mehr als die Ärzte-Dramatik, aber ein Zurück gab es nun nicht mehr.

+ 2 kg aus Angst vor den Plänen meiner Mitbewohnerin

Als erstes kam der Hund. Sie erzählte mir nichts davon und ich erschrak höllisch als er eines morgens in der Küche lag. Mitten auf dem Weg von meinem Zimmer zum Kühlschrank. Ich starrte ihn an. Er glubschte zurück. Er sah traurig aus. Irgendwie gelangweilt und nach Mitleid flehend. Meine Mitbewohnerin war nicht zu sehen. „Marie! Ich glaube deinem Teppich fehlt etwas!“ „Wenn er so guckt, will er mal raus!“ „Na dann tu ihm doch den Gefallen, dieser Blick bringt mich zum Heulen!“ „Bin grad in der Badewanne, geh du mal!“
„Was mach ich, wenn der scheißt? Ich fass das nicht an!“ „Das ist ein RobDog, der scheißt nicht!“ „Was? Das Glubschding ist nicht echt?“ „Klar! Echte Schaltkreise, echter Akku, echter Hundeblick!“ Und plötzlich war ich einer von den Menschen, zu denen ich nie gehören wollte: Spaziergänger. Ich ging jeden Tag - mit dem Hund, der nicht scheißte, nicht krank wurde und immer trauriger guckte, je länger man ihn nicht bewegte. Spätestens wenn er anfing zu winseln, vergaß ich, dass er eigentlich nicht fähig war, Schmerzen zu empfinden.

- 8 kg dank täglichem Mitleid für Robby RobDog

Als nächstes kaufte Marie einen neuen Kühlschrank. Dass es diese Art von Kühlschränken gibt, hatte ich vorher nicht gewusst. Und eigentlich kann ich auch noch immer nicht glauben, dass es tatsächlich einen Markt für so etwas gibt, der über meine enthusiastische Mitbewohnerin hinaus geht. Sie hatte mir nicht erzählt, was das für einer war. Er stand einfach plötzlich in unserer Küche und blitzte mit ihrem Zahnpastalächeln um die Wette. In dem Moment mochte ich ihn noch. Zwei Stunden später sah das schon anders aus. Die erste Lernpause stand an und der erste motivierende Becher Schokopudding. Ich brauchte diesen Pudding. Er war Teil meines Arbeitsrhythmus. Aber ich bekam ihn nicht. Der Kühlschrank ging nicht auf. „Marie! Der Kühlschrank ist kaputt!“ Aber Marie war bei der Arbeit. „Komm schon, mach auf“, knurrte ich den Kühlschrank an. „Ich öffne mich wieder in einer Stunde und 22 Minuten“, erklärte mir der Kühlschrank und ich bekam einen Schreikrampf der langsam aber sicher in einem Jaulen à la Robby RobDog endete. Der stieg auch prompt mit ein. Ab diesem Moment habe ich den Kühlschrank gehasst, was für mich eine völlig neue Erfahrung war.

+ 5 kg weil ich, sobald sich das magische Kühlschranktor öffnete, alles in mich hinein stopfte, was ich in die Finger bekam

Der Punkt, der auf Maries Plan als nächstes stand, sollte noch hinterhältiger sein: Sie zückte die Waffe des Neides. Es fing damit an, dass sie nach Hause kam und noch 18 Minuten auf der Leuchtanzeige des Kühlschrankes standen. Warum ich das so genau wusste? Ich saß direkt davor. Ich hatte mir einen Stuhl direkt vor den Kühlschrank gestellt und las mein Buch einfach dort. Nun ging also Marie zum Kühlschrank und ich schaute auf. Gleich würde sie einmal selbst merken, wie erniedrigend es ist, dass der Kühlschrank die Macht besitzt, dachte ich. Sie sagte: „Ah, noch 18 Minuten. Machst du trotzdem mal auf?“ Ich kniff die Augen zusammen. Sie lächelte hämisch. Sie zog an der Tür. Mir rutschte mein Buch von den Knien. Die Tür ging auf.

- 10 kg damit sich der Kühlschrank auch bei meiner Stimme wieder öffnet

Ich machte Sport, ich futterte weniger, ich begann neidisch zu sein auf dünne Menschen, aber meine innere Ruhe war wie weggefegt. Jeden Morgen war ich ein wenig grummeliger. Jeden Spaziergang redete ich weniger mit Robby. Ich arbeitete zu viel und orientierte mich stark am Kühlschrankcountdown. Das gemeinsame Fernsehen gucken mit Marie wurde zu einem andauernden Kampf um die Macht, die Fernbedienung halten zu dürfen. Ich wurde jeden Tag wütender. Es gab einen ärgerlichen Zwischenfall:

Ich hatte besonders schlechte Laune, denn mir war die Milch übergeschwappt als sie noch im Kühlschrank stand. Und ihn zu reinigen nahm so viel Zeit in Anspruch, dass er den Timer um 2 Stunden erhöhte. Anscheinend geht das Mistteil davon aus, dass die Menge, die man isst sich proportional zur Zeit verhält, die die Tür offen steht. Ich nahm Robby an die Leine und verließ missmutig die Wohnung. Nach der halben Strecke machte ich Pause und setzte mich auf eine Bank. Ich starrte nur so ins Leere, da hob Robby plötzlich das Bein und pinkelte mich an! So etwas ungezogenes! Natürlich pinkelte er nicht wirklich, RobDogs simulieren das nur, damit niemand merkt, dass sie nicht echt sind. Aber wenn er echt wäre, verdammt, dann hätte er mich gerade angepisst! Ich stand auf, holte aus und trat.
Abends bekam ich dann Besuch vom Tierschutz. Sie fragten, ob ich Reue empfand. Ja, tat ich. Und wie. Sie fragten mich auch, ob ich gewusst hätte, dass RobDogs Gewalt erkennen und melden können. Das hatte ich nicht gewusst, aber ich hatte in dem Moment auch überhaupt kein bisschen nachgedacht, es war also nicht relevant, was ich gewusst hatte und was nicht. Ich beantwortete jede Frage so ehrlich wie möglich und ich glaube am Ende waren die Leute davon überzeugt, dass ich so etwas nicht noch einmal machen und schon gar nicht einem lebenden Tier antun würde. Trotzdem steigerte der Vorfall meine innere Aggression.
Eines Abends fand meine Wut dann ihren Gipfel.

Ich schlug mit der Faust gegen den Kühlschrank. Ich wollte, dass er umfällt, wollte auf ihn eintreten, wollte seinen Lenden Boxen bis er Wurst und Käse blutet! Ich hatte so Hunger! Noch ein Mal rammte ich mein Knie in seinen Bauch. Dann siegte die Vernunft, ich packte ihn an den Seiten und er hörte auf zu wackeln. Ich stellte mir vor wie Marie mich belustigt ansah, verdrehte die Augen und ging zurück an meinen Schreibtisch.

- 8 kg und der Sieg über den Schweinehund! Ich hatte ein absolut gesundes Gewicht erreicht.

Autorin / Autor: Timothy