Die kleinen Revolten der Rosy James
Autorin: Gloria Whelan
Die 15-jährige Rosalind James lebt zur Zeit des Ersten Weltkriegs im noch von der Kolonialmacht Großbritannien besetzten Indien. Obwohl sie in einem wohlhabenden englischen Viertel aufwächst, lernt sie durch den Kontakt zu ihren Dienstboten und insbesondere ihrer besten Freundin Isha auch das alltägliche Indien kennen und ist von dem bunten Leben auf dem Basar, all den Farben, Formen und Gerüchen begeistert. Gefallen findet sie auch an den gewaltfreien revolutionären Ideen der Anhänger Gandhis und den Anfängen der Unabhängigkeitsbewegung, die sich nach dem Krieg zu formieren beginnt.
Als Rosalinds Vater, der als Leutnant im Krieg gedient hat, nach zweijähriger Abwesenheit wieder nach Hause kommt, ist er entsetzt über Verhalten und Denkmuster seiner Tochter, die seinem eigenen Weltbild und seinen politischen Überzeugungen widersprechen. Als Rosalind schließlich bei einer Kundgebung Gandhis von der Polizei aufgegriffen wird, entschließt er sich, sie in die Heimat England zu schicken, um sie in der Obhut zweier Tanten erziehen zu lassen.
Auch in England stößt Rosalind mit ihrer offenen, oft unreflektierten Art auf Widerstand, diesmal vonseiten ihrer konservativen Tante Ethyl. Tante Louise dagegen, die unter der Knute ihrer Schwester steht, empfängt Rosy herzlich und findet durch die Nichte einen Weg, erstmals für sich selbst einzustehen.
Rosalinds Aufenthalt in England ist kurz. Bereits nach wenigen Wochen wird sie durch einen Brief des Vaters nach Indien zurückbeordert, da ihre Mutter vor Sorge um die Tochter sehr krank geworden ist. Rosy verlässt Großbritannien in Begleitung ihrer Tante Louise und freut sich trotz aller Ungewissheit auf einen Neuanfang in der alten, neuen Heimat.
Die Autorin Gloria Whelan schildert in einem Nachwort ihre Motivation zu dem Roman: Einerseits die Bewunderung der gewaltlosen Unabhängigkeitsbewegung unter Gandhi, andererseits die Faszination für das Leben der Kinder in Indien stationierter britischer Beamter und Armeeangehöriger. Leider jedoch sind beide Themen höchstens Ansatzpunkte, die im Buch selbst keine tragende Bedeutung gewinnen.
Die gesamte Handlung des Romans wirkt stark konstruiert und oberflächlich. So bunt Indien und das Geschehen des Basars beschrieben werden, so farblos sind die Charaktere – weder die Hauptfigur Rosy noch die Nebenfiguren durchlaufen eine Entwicklung; es sind statische und stereotype Charaktere, deren Handlungen schnell voraussehbar sind. Auch der Titel ist irreführend: Rosy revoltiert in diesem Buch nicht tatsächlich. Zwar widersetzt sie sich der Meinung ihres Vaters und später der Tante, doch geschieht dies auf eine unreflektierte und naive Art und Weise, und nicht etwa, weil sie bespielsweise so stark von den Ideen Gandhis überzeugt wäre.
Die Handlung wird eher von äußeren Umständen als von Rosys eigenem Verhalten vorangetrieben, und es gibt keinen Zielpunkt, auf den sie sich hin entwickelt; stattdessen plätschert das Geschehen vor sich hin und lässt den Leser am Ende des Romans mit einem unbefriedigenden Leseeindruck zurück. Viele Figuren des Romans sind zwar sympathisch gezeichnet, durch ihre Eindimensionalität und fehlende Authentizität wird allerdings kein Bezug zum Leser aufgebaut, sodass eine Identifikation schwer fällt. Da der Verlauf der Handlung leicht zu erahnen ist, misslingt über weite Teile auch der Spannungsaufbau.
„Die kleinen Revolten der Rosy James“ behandelt ein Thema, das in der Jugendliteratur bedauerlicherweise stark unterrepräsentiert ist. Daher enthält der Roman durchaus interessante Elemente, da reale historische Ereignisse in die Handlung eingebunden werden und viele Beschreibungen Indiens in lebhafter und anschaulicher Sprache formuliert sind. Handlung und Charaktere allerdings können die von der Autorin selbst gesteckten Ansprüche leider nicht erfüllen.
*Erschienen bei: Gabriel*
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Autorin / Autor: fabienne - Stand: 26. März 2012