Wer "Die Beschenkte" und "Die Flammende" noch nicht gelesen hat, könnte in dieser Rezension auf Spoiler treffen!
Seit dem Tod ihres tyrannischen Vaters, König Leck, herrscht Bitterblue über das Königreich Monsea. Vor ihr liegt viel Arbeit, denn auch, wenn Leck tot ist, reichen die Folgen seiner Taten bis ins Jetzt und lassen die Menschen nicht vergessen. Bitterblue weiß nicht was Lüge und Wahrheit ist, wer Freund oder Feind. Um ihren Land zu helfen, muss Bitterblue wissen, was in den Jahren von Lecks Herrschaft passiert ist, doch in ihrem Schloss stößt sie auf eine Mauer aus Schweigen. Deswegen schleicht sich die Königin Nacht für Nacht heraus und lauscht den Geschichten in den Erzählerstuben. Doch nicht jeder ist an der Wahrheit interessiert, schon gar nicht, dass es andere erfahren.
„Die Königliche“ ist der Abschlussband der „Sieben Königreiche“-Trilogie. Hier gibt es ein großes Wiedersehen, nicht nur mit Katsa und Bo, sondern auch Bitterblue, die in Band 1 noch von den beiden gerettet wurde. Sie ist mittlerweile zu einem Teenager herangewachsen, doch noch nicht lange in die Rolle der Königin hineingewachsen. Mit Bitterblue betritt zum ersten Mal ein Hauptcharakter die Bühne, der nicht schwertschwingend alle Gegner niedermetzelt oder tagelange Reisen durch die Königreiche unternimmt. Im Vergleich zu Katsa bzw. Fire, ist Bitterblue eine passive Protagonistin, die die meiste Zeit im Schloss verbringt. Deshalb zeichnet sich der letzte Band weniger durch Aktion aus, sondern geht psychologisch tiefer als die vorherigen Bände. Hier steht nämlich ein besonderes Thema im Mittelpunkt: Vergangenheitsbewältigung. Und dafür soll eine, geschätzte 18-Jährige, eine Lösung für ein komplettes Land finden? Da ist es nicht schwer zu erraten, wie Bitterblue an ihren eigenen Fähigkeiten zweifelt, die das Gefühl hat, der Situation nicht gewachsen zu sein, geschweige denn, vor der Angst falsche Entscheidungen zu treffen und so noch mehr Probleme zu bereiten. Und doch gibt sie nicht auf und versucht immer das Beste aus der Sache zu machen, gerecht zu sein und denkt selbstständig ohne sich von ihren Ratgebern abhalten zu lassen, wenn sie der Meinung ist, das Einzig richtige zu tun. Das macht Bitterblue unheimlich sympathisch.
Auch mit den anderen Charakteren hat sich Kristin Cashore alles richtig gemacht, obwohl ich von 1-2 gerne ein bisschen mehr erfahren hätte.
Das Cover bleibt dem Stil der Vorgängerbände treu und besticht wieder mit schlichter, einprägender Schönheit – wer möchte sowas nicht im Regal haben?
Allerdings hat sich das Layout zwischen den Buchdeckel etwas geändert. Zumal ist der Zeilenabstand geschrumpft, ein Inhaltsverzeichnis und ein Schlüsselsymbol für jedes Kapitel sind hinzugekommen und der Künstler, der für die schönen Landkarten verantwortlich war, wurde entweder gewechselt oder er hat sich einen anderen Stil zugelegt. Diese Gestaltung hätte, soweit verantwortlich, der Verlag Carlsen ruhig schon für die vorherigen Bände nehmen können.
Die Bücher von Frau Cashore bestechen durch tolle Handlungen, umwerfenden Charakteren und herzerwärmenden Liebesgeschichten. Diesmal fehlt der Geschichte aber eine herzerwärmende Liebesgeschichte. In Ansätzen gibt es eine Romanze, doch sie ist verglichen mit Katsa & Bo oder Fire & Brigan, leidenschaftslos, ja, unbedeutend. Sie hat mich nicht mitgerissen.
Außerdem hat die Autorin auch wieder aktuelle bzw. Themen aus unserer Welt und Zeit mit in die Handlung geflochten. So möchte ein Drucker ein „Buch der Wörter“ schreiben (den ersten Duden), es soll der Analphabetismus bekämpft werden, es wird über die Grundpfeiler der Demokratie nachgedacht, es geht um Selbstverletzung und Homosexualität. Dieser Realitätsbezug macht die Welt von Bitterblue greifbarer.
Der Schreibstil ist wieder hervorragend. Zwar sind die Sätze recht einfach, schnell zu lesen, doch Kristin Cashore versteht sich darauf ihre Welt gut zu beschreiben. Gefühle deutet sie oft nur an, nennt sie nicht oft beim Namen, was sehr realistisch wirkt. Dadurch ahnt der Leser zwar, ob jemand in einen anderen verliebt ist, doch solange es im Buch nicht steht oder ausgesprochen wird, befindet man sich in der Schwebe. Dieses Mittel setzt sie auch in anderen Bereichen ein, was die Spannung in vielen Szenen deutlich steigert.
Kristin Cashore hat mich von Buch zu Buch immer mehr überrascht. Obwohl es eine Trilogie ist, unterscheiden sich die Bücher untereinander in Themen, Aufbau und Handlung so stark, das jedes Buch einzeln für sich stehen kann, aber zusammen gelesen ein viel größeres Lesevergnügen bietet. Vor allem mit „Die Königliche“ hat sie weitere Facetten von sich gezeigt, was nur noch unterstreicht, was für eine fabelhafte Autorin Kristin Cashore ist! Ich bete dafür, dass wir bald Neues von ihr lesen dürfen!
Ihr werdet mit jeder Seite leiden. Denn diese Geschichte zeigt euch, was ein einzelner, mächtiger, grausamer Mensch anrichten kann, sogar nach seinem Tod hinaus. Es ist beängstigend, auf welche gebrochenen Seelen ihr stoßen werdet, die bleibende Eindrücke bei Euch hinterlassen.
„Die Königliche“ geht seelisch unter die Haut, bezaubert mit einer fantastischen Welt und lässt Euch Bitterblues Geschichte, die Geschichte eines ganzen Landes, nicht mehr vergessen.
*Erschienen bei Carlsen*
Autorin / Autor: livvy - Stand: 8. Oktober 2012