Die elfjährige Delly scheint Ärger wie magisch anzuziehen – schon von klein auf war es so, obwohl sie selbst eigentlich stets nur ihren Spaß haben oder sogar Gutes tun wollte. Wenn Delly die Hühner freiließ, ohne zu fragen das Kanu ihres Nachbarn auslieh oder bei Weitspuckwettbewerben versehentlich jemanden traf, glaubte ihr nie jemand, dass keine bösen Absichten hinter diesen vermeintlichen Untaten steckten.
Als Delly in die fünfte Klasse kommt, ist sie von all dem ungewollten Ärger nahezu vergrämt und hat das Lächeln, das ihr stets auf den Lippen lag, fast verloren – sie fühlt sich ungerecht behandelt und ist mittlerweile so zornig auf die Welt, dass sie nun auch bewusst Ärger provoziert, um sich abzureagieren. Ihre Eltern wissen nicht weiter, mit ihrer älteren Schwester Gal streitet sie nur noch, und dann droht schließlich auch noch der Schulverweis. Einzig Dellys kleiner Bruder RB himmelt sie weiterhin an; er ist es auch, der ihr rät, leise zu zählen, statt lautstark in die Luft zu gehen.
Das Zählen hilft nur vorübergehend, doch dann kommt eines Tages ein Überraschenk ihres Weges. Delly, die eigene Wortkreationen liebt, hat ein Gespür für Überraschenke – Geschenke, die gleichzeitig eine Überraschung und somit eigentlich noch viel besser als normale Geschenke sind – und fühlt gleich am Morgen, dass etwas Bedeutendes passieren wird. Tatsächlich kommt ein neues Mädchen in Dellys Klasse: Ferris Boyd. Ferris sieht aus wie ein Junge, sie spricht nicht, und man darf sie nicht berühren. Während fast niemand die komische Neue weiter beachtet, ist Delly von ihr fasziniert, denn sie merkt schnell, dass Ferris ein besonderes Verhältnis zu Tieren zu haben scheint, und auch, dass sie offenbar ein trauriges Geheimnis hat.
Delly folgt Ferris heimlich nach der Schule, und nachdem sie sie einige Nachmittage lang beobachtet hat – Ferris spielt stets eine Zeitlang im Hof Basketball, dann verschwindet sie in den Wald – gibt sie sich erstmals zu erkennen. Es dauert eine Weile, bis die beiden unterschiedlichen Mädchen sich einander annähern – Ferris muss lernen, jemanden an sich heranzulassen, während Delly damit hadert, zurückhaltend zu sein und Fragen zu stellen, statt ihr Gegenüber zu überfallen. Doch obwohl Ferris noch immer nicht redet, entwickelt sich eine innige Freundschaft, der sich auch RB bald anschließt. Die Kinder verbringen herrliche lange Sommertage gemeinsam in einem Baumhaus im Wald, machen Ausflüge oder leisten sich einfach ohne Worte Gesellschaft. Ferris‘ Leidenschaft und Talent für Basketball beschert ihr sogar einen weiteren Freund, den stotternden Brud Kinney. Und da Delly so in ihre neue Freundschaft eingebunden ist, schafft sie es endlich, dem Ärger aus dem Weg zu gehen.
Es ist der beste Sommer ihres Lebens, doch trotz all der schönen Momente spüren Ferris‘ Freunde, dass noch immer eine große Traurigkeit auf dem Mädchen lastet. Delly vermutet schon lange, dass diese Traurigkeit mit Ferris‘ Vater zusammenhängen könnte, der selten zu Hause ist, vor dem Ferris jedoch Angst zu haben scheint. Als sie eines Tages beim Schwimmen – wobei Ferris stets ein T-Shirt trägt – zufällig blutige Striemen auf dem Rücken der Freundin sieht, wird ihr klar, dass alle Freundschaft, die sie, RB und Brud Ferris geben können, nicht genug ist, um ihr zu helfen. Sie muss sich ebenjenen Erwachsenen, für die Delly ihr Leben lang ein Ärgernis gewesen ist – der örtlichen Polizistin, der Schulpsychologin, der Rektorin – anvertrauen. Für Delly ist es ein schwerer Schritt, und obwohl sie Ferris so gern hat, dass ihr die Not der Freundin fast körperlich weh tut, zögert sie zunächst. Dann jedoch ist Ferris von einen auf den anderen Tag verschwunden, und es liegt an Delly, zu handeln ...
Katherine Hannigans Roman ist ein leises Buch, das vor allem durch starke und ausgesprochen liebenswerte Charaktere besticht. Auch ist es viel mehr als eine gewöhnliche Außenseitergeschichte, und die Schwierigkeiten und Probleme, mit denen die Protagonisten sich auseinandersetzen müssen und die häufig auch nur zwischen den Zeilen anklingen, berühren den Leser so unmittelbar, dass die Lektüre auch emotional einen starken Eindruck hinterlässt. Gleichzeitig aber ist "Die Wahrheit", wie Delly sie sieht keineswegs ein durchweg bedrückendes Buch; besonders Dellys Vorliebe für eigene Wortschöpfungen (die sogar am Ende des Romans in einem „Dellexikon“ zusammengestellt sind) sorgt immer wieder für herrlichen Sprachwitz und humorvolle Szenen.
Ein Buch zum Lachen und Weinen, das den Leser auf eine emotionale Achterbahnfahrt schickt, ihn aber letztlich nicht zuletzt aufgrund der poetischen Sprache und der schönen Botschaft von der Kraft der Freundschaft geradezu glücklich aus den Buchseiten auftauchen lässt. Definitiv eine Leseempfehlung, und das nicht nur für Jugendliche!
*Erschienen bei Hanser*
Autorin / Autor: fabienne - Stand: 13. Januar 2014