Eingeschränktes Weltwissen
Studie über die Herkunft von Wikipediaartikeln
Wer heute ein Referat schreiben muss, sich auf eine Prüfung vorbereitet oder ganz allgemein etwas nachschlagen will, geht auf die Wikipedia-Seite. Schließlich ist auf den Wahrheitsgehalt und die Qualität der Einträge Verlass, und das Wissen der ganzen Welt ist dort versammelt. Aber stimmt das wirklich? Nachdem eine Studie des GESIS – Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften, der ETH Zürich und der Universität Koblenz-Landau im Frühjahr 2015 schon feststellte, dass Frauen auf Wikipedia durch versteckte Mechanismen benachteiligt sind, beschäftigt sich jetzt eine weitere Studie der Universität Oxford mit der globalen Herkunft der Autor_innen. Demnach stammen fast die Hälfte aller Wikipedia-Artikel, die sich auf Orte beziehen von Menschen in Großbritannien, USA, Frankreich, Deutschland und Italien - selbst wenn die Orte gar nicht in diesen Ländern liegen. Es kommen sogar mehr Wikipedia-Einträge aus den kleinen Niederlanden als aus ganz Afrika. Dabei ging man immer davon aus, dass Wikipedia als das weltweit größte und am häufigsten verwendete Nachschlagewerk gerade lokalen Stimmen eine Plattform bietet. Die Studie kommt jedoch zu dem Schluss, dass lokale Stimmen eher selten vertreten sind, und dass die weltweite digitale Verbundenheit bisher leider nicht dazu führt, dass weniger "sichtbare" Teile der Welt sichtbarer werden. Im Gegenteil: Offenbar haben Länder mit hohem Einkommen eine "überproportional laute Stimme", so die Studienautoren. Da die meisten Redakteur_innen aus Europa und Amerika kommen, definieren sie weitgehend, welche Informationen online über ihre Heimatländer und überall sonst in der Welt erscheinen.
Die Drei-Jahres-Studie analysierte Daten vom Gründungszeitraum 2001 bis 2013 und untersuchte rund 708.000 Artikel in 44 Sprachen, die Verweise auf geografische Standorte enthielten. Dabei stellten die Wissenschaftler_innen fest, dass 100 mal mehr Artikelbearbeitungen aus Nordamerika als aus Afrika südlich der Sahara kommen. Selbst wenn die Wikipedianer_innen aus Ländern mit niedrigem Einkommen kommen, schreiben sie eher über reiche Länder als über ihr eigenes.
Der Studienleiter Dr. Mark Graham vom Oxford Internet Institute an der Oxford University erklärt: "Selbst auf Wikipedia, das weithin als eine der offensten und integrierendsten Plattformen angepriesen wird, sehen wir, dass Länder mit niedrigem Einkommen weit weniger repräsentiert werden als wirtschaftlich gut gestellte Standorte. Europa und Nordamerika haben die lautesten Stimmen, die weitgehend bestimmen, was wir über die Welt erfahren. Selbst wenn es sich um kleinere, weniger wohlhabende Länder handelt, beschreiben die anderen diese Orte - und nicht die Menschen, die in ihnen leben."
Diese Informationsballungszentren in reicheren Ländern führen offenbar dazu, dass trotz der weltweiten digitalen Vernetzung ärmere und weniger angeschlossene Teile des Planeten wieder einmal vergessen werden. "In der Praxis sehen wir, wie die bestehenden Ungleichheiten und Ungleichgewichte nicht nur Orte unsichtbar machen, sondern auch bestimmte Stimmen und Perspektiven ersticken. Selbst diejenigen, die in wirtschaftlich weniger begünstigten Orten leben schreiben lieber über Orte, die schon im Rampenlicht der Online-Aufmerksamkeit stehen." resümiert Dr. Graham.
Quelle
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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 25. September 2015