Ein Mord, ein neuer Eishockey-Spieler, der ihr den Kopf verdreht und das FBI, das sie als Undercover-Ermittlerin anwerben will. So hatte Daunis sich ihr Leben nach dem College eigentlich nicht vorgestellt. Und ich mir das Buch nach einem Blick auf das Cover ehrlich gesagt auch nicht. Schon nach wenigen Seiten wird klar, dass es sich weder um eine seichte Fantasy-Geschichte, noch um einen kitschigen Liebesroman handelt. Und das hat mir ziemlich gut gefallen. Am ehesten könnte man "Firekeeper's Daughter" wohl als Kriminalroman bezeichnen, in dem es um Identitätsfindung geht. Oder um einen Coming-of-age Roman mit Kriminalgeschichte?
Boulley, selbst registriertes Mitglied des Sault Ste. Marie Tribes der Chippewa Indians, widmet sich nicht nur der offensichtlichen Storyline (Mord-Aufklären), sondern auch der Frage nach Zugehörigkeit, nach Gemeinschaftsgefühl und der Suche danach. Ganz nebenbei gewährt sie der Leserin auch einen Einblick in das Leben von Native Americans in den heutigen USA.
Aber von vorne: Wir lernen die Protagonistin, Daunis Fontaine, in einer Zeit des Umbruchs kennen. Sie ist fertig mit der Schule und bereitet sich auf ihr Medizinstudium vor. Aufgrund einiger Schicksalsschläge, mit denen ihre Familie kämpfen musste, entscheidet sie sich dafür, in Sault Ste. Marie, Michigan, und damit bei ihrer Familie, zu bleiben. Ihre Familie, das ist einerseits die weiße, wohlhabende Familie Fontaine, die Seite ihrer Mutter, die ihr alle Türen öffnet. Andererseits sind da die Firekeepers, die Familie ihres Vaters. Er war Native American, genauer Mitglied des Ste. Marie Tribes und ein großartiger Eishockeyspieler. Daunis bewegt sich zwischen den Welten. Sie liebt die Wissenschaft, ihre Mutter und Oma, die ihr so viel ermöglichen. Aber sie ist mindestens ebenso fest verankert in der Gemeinschaft des Tribes, liebt die Traditionen, Bräuche und Riten der Ojibwe.
Das teilt sie mit ihrer besten Freundin Lily, die, ähnlich wie Daunis, damit zu kämpfen hat, dass sie nicht Native genug ist, um als stimmberechtigtes Tribe-Mitglied aufgenommen zu werden. Man könnte jetzt denken, dass Daunis und Lily verbittert sind. Dass sie ihren Tribe ablehnen, oder sich zumindest gegen den Ausschluss auflehnen. Aber das tun sie nicht. Sie fühlen sich zugehörig und aufgehoben. Die gemeinsamen Rituale, Feste und die kollektiven Strukturen verankern die beiden jungen Frauen (zumindest nehme ich das an, als Leserin begleitet man in erster Linie Daunis auf ihrem Weg), geben ihnen Halt und ein Sicherheitsnetz.
Solch ein Zugehörigkeitsgefühl hat der Neue in der Stadt und im Eishockeyteam von Daunis Bruder, nicht. Zumindest hat man den Eindruck, dass Jamie noch auf der Suche nach seinen Wurzeln ist. Jamie ist toll. Er spielt nicht nur Eishockey, sondern ist auch ein erstklassiger Zuhörer und Laufpartner. Wäre da nur nicht die Freundin, die in einer anderen Stadt wohnt. So joggt Daunis zusammen zwar mit Jamie, lässt aber ansonsten die Finger von ihm. Das würde man Lily auch wünschen, die immer noch mit ihrem Exfreund, Travis, zu tun hat. Aus dem ehemals lustigsten Jungen der Schule ist ein Meth-Abhängiger geworden, den Daunis und Lily kaum noch wiedererkennen. Trotz dieser nicht gerade leichten Themen, schafft Boulley es, dass Daunis Leben ziemlich schön wirkt. Zumindest so lange, bis einigen abgefeuerten Schüsse ihr Leben grundsätzlich verändern. Und plötzlich ist sie nicht nur Zuschauerin, sondern steckt als Undercoverermitlerin mittendrin in Ermittlungen, in denen es um Kolonialismus und Drogen geht, um Waffen und Traditionen.
"Firekeeper's" Daughter ist definitiv keine seichte Lektüre. Die Autorin schreibt einen Roman, in dem sie Erfahrungen mit Rassimus und Kolonialismus einbaut, aber auch vor Themen wie Drogenkonsum und Gewalt nicht zurückschreckt. Aushaltbar ist das vor allem dank der vielschichtigen Protagonistin, die gar nicht erst versucht, perfekt zu sein. Daunis ist ehrlich, liebevoll, manchmal empathisch, manchmal verletzt und ab und zu auch abweisend und hart. Sie ist ein Vorbild, das Risse hat, und gerade das macht sie zu einer tollen Protagonistin.
Spannend fand ich außerdem die historische Einordnung am Ende des Buches, in der Boulley noch einmal klar macht, dass Natives eben nicht nur in der Geschichtsschreibung existieren, sondern aktuell ihre Geschichte schreiben. Wer schon immer mal mehr über das Leben von Natives in den USA erfahren wollte, dem lege ich diesen Roman ans Herz. Aber auch Leser_innen die auf der Suche nach einer spannenden, schnell erzählten und erreignisreichen Geschichte über eine Undercover-Ermittlung sind, kommen hier voll auf ihre Kosten. Das ist ein Buch, das mich noch lange begleiten wird.
*Erschienen bei cbj*
Autorin / Autor: karla94 - Stand: 9. Mai 2022