Einsendung zum Schreibwettbewerb Dr. Futura im Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung
„Angriff mit Messer auf 17-Jährige.“, las ich flüchtig und legte die Zeitung auf den Essenstisch, an dem ich gerade saß. Meine Hände fingen an zu zittern und ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper. Schluckend versuchte ich meine Erinnerungen an jenem Tag abzuschütteln, die sich in meinen Kopf eingebrannt hatten. Zur Beruhigung nahm ich meine Teetasse und trank einen Schluck von der roten Flüssigkeit. Jedoch konnte ich meine Hand nicht ruhig halten, was dazu führte, dass das Getränk tropfend auf den Boden lief und sich im weißen Teppich verteilte. Die Flecken sahen aus wie Blut. Frisches Blut. Ein Schauer lief mir über den Rücken und mein Herz klopfte schneller. „Mary, nun stell dich nicht so an, es ist doch nichts passiert. Ruhig bleiben, tief durchatmen.“ Trotz gutem Zureden konnte ich meine Angst nicht bändigen. Seit jenem Tag nicht mehr. Schnell stand ich auf und suchte vergeblich einen Lappen, mit dem ich den Boden säubern konnte. Ich hetzte im Raum hin und her, als das Telefon zum Läuten anfing. Erleichtert über das Klingeln, das mich aus meinem Gedanken riss, nahm ich es in die Hand und meldete mich: „Hallo? Mary Gilder am Hörer.“ Nichts. Keine Antwort. Etwas eingeschüchtert fragte ich noch einmal nach: „Kann ich Ihnen helfen?“ Stille. Beunruhigende Stille. „Anna? Bist du es?“ Ein Schauer lief mir über den Rücken und ich legte das Gerät bei Seite, als ich hörte, dass jemand aufgelegt hatte. Mir wurde übel als ich wieder auf den verschmutzen Teppich sah und rief mich zur Besinnung: „Verwählt. Es ist nichts.“ Ich blickte mich noch einmal im Raum um, fand endlich das Putztuch, dass ich erleichtert holte, setzte ich mich auf meine Knie vor den Fleck und bemühte mich, nicht bei dem Anblick abzuschweifen. In die dunkle Vergangenheit. Ein roter Teetropfen landete auf meiner Hand, danach ein zweiter und ein dritter. Ich kreischte auf… und plötzlich sah ich ihn wieder vor mir. Er. Er mit einem Messer. Einem Messer voller Blut. Wie er vor mir stand, mit einem wutverzerrten und hasserfüllten Blick. Ich konnte mich an jedes einzelne Detail erinnern. Tom, mein Freund mit schwarzem Kapuzenpullover, alter Jeans und blauen Schuhen. Wie er mit der Klinge vor mir hin und her wedelte und hämisch über unsere zerstörte Beziehung redete. Tränen liefen mir über die Wangen und ich versuchte ihn zu beruhigen, was jedoch unmöglich war, da er wieder einen seiner Psychoausbrüche hatte. Die Panik kam als erstes. Panik vor ihm und dem, was geschehen würde. Vorwurf war das Nächste, was ich fühlte. Vorwurf, da ich nicht auf meine Freunde gehört habe, als sie mir einredeten, dass dieser Mann nichts für mich sei. Danach wurde ich von meiner Angst eingeholt. Angst um mein Leben, das ich noch lange nicht beenden wollte. Als er anfing, das Messer immer und immer wieder in meinen Arm zu stechen, war es Verzweiflung. Verzweiflung, da ich mir nicht zu helfen wusste, als er nicht aufhörte. Kurz bevor ich mich an nichts mehr erinnern konnte, gab ich mein Leben auf und trauerte. Trauer, da ich nie mehr meine ganze Zukunft verwirklichen würde und könnte.
Doch jetzt lebe ich. Ich bin wieder kerngesund. Wie jeder normale Mensch auf dieser Welt. Nur dieses verängstigende Geschehen bleibt immer in meinem Kopf. Träume, die mich nachts heimsuchen und mich immer schweißüberströmt aufwachen lassen. So wie er vor mir stand und die Tatwaffe mit meinem fließenden, roten Blut in meinen Arm stieß. Seine blutverschmierten Schuhe, sein rotes Shirt, der aggressive Blick und die zerzausten Haare. Für immer und ewig werde ich ihn in meinen Gedanken behalten.
Fluchend stellte ich fest, dass ich wieder abgeschweift bin. Das kleine Weichei, das immer Mitleid brauchte. So hatte mich schließlich Tom genannt, als ich wieder einmal Streit mit ihm hatte. Ich zog meine Jacke ohne Bedenken aus. Zum Vorschein kam eine glatte, unverletzte Haut, die aussah, als wäre nichts geschehen. Keine Wunden, keine Narben. Das habe ich alles dem neuesten Gerät im Krankenhaus zu verdanken. Ich kann mich ohne große Scham zeigen und keiner würde irgendetwas über meine Vergangenheit erfahren. Eine 10-minütige Behandlung und keine Nebenwirkungen. Was will man mehr? Leicht strich ich mit meinen Finger über den Oberarm, der so schön wie vorher war. Sogar die Kosten sind erträglich gewesen und nichts hat wehgetan. Das kleine, handlich Gerät, das man auf die Haut aufsetzt sah wie eine kleine Zahnbürste aus, die man über den Körper fährt. Darunter eine grün-bläuliche Creme, die in die Haut eindringt. Sie erzeugt den ersten Heilungsschritt. Danach musste ich eine Tablette nehmen, die vier Tage später den zweiten Heilungsprozess durchführte. Zum Schluss kam eine Ärztin zu mir nach Hause, die mir mit einem Spray die feinen Linien der Narben nachfuhr. Einen Tag später war alles verschwunden. In nur 5 Tagen konnte ich wieder meine heißgeliebten T-Shirts anziehen. Jede körperliche Erinnerung an Tom war jetzt verschwunden und ich war damit zufrieden. Auf seine Beerdigung werde ich nicht gehen. Nachdem er dachte, dass er mich umgebracht hatte, nahmen seine Depressionen Oberhand über ihn und er rammte sich das Messer in seinen Kopf. Immer noch war ich froh darüber, dass ich das nicht gesehen habe.
Ich versuchte wieder den roten Fleck im Teppich zu beseitigen, als es an der Tür klingelte. Kurz nach dem Vorfall hatte ich das Schlüsselloch auswechseln und eine Alarmanlage befestigen lassen. Ich ließ den Lappen auf den Fußboden fallen, stand auf und strich meine Kleidung zurecht. Kurz blickte ich in den Spiegel, um mein Aussehen zu prüfen, was ich sofort bereute. Meine Haare waren zerzaust und blutunterlaufene Augen blickten mir entgegen, die extrem müde aussahen. Wieder klingelte es. Ich atmete tief durch, ging langsam, aber zielstrebig zum Eingang und öffnete die Tür einen Spalt breit. „Hallo Mary. Schön, dass du da bist. Gerade habe ich dich angerufen, jedoch war unsere Verbindung gestört und ich konnte dir nicht antworten. Deshalb dachte ich, ich komme einfach mal vorbei. Du hast doch nichts dagegen, oder?“ Es war meine Ärztin, die mich die letzten Tage behandelt hatte, damit ich wieder körperlich und physisch auf die Beine kam. Sie erkundete meinen Arm: „Das ist ja toll verheilt.“ Ich fing mit ihr ein Gespräch über meine Gesundheit an, doch insgeheim hatte ich nur einen Gedanken: Mein Körper ist verheilt, aber mein Kopf wird es nie sein.