Interview mit Prof. Dr. Jutta Rump - Themenbotschafterin für Chancengleichheit & Diversity bei der Initiative Neue Qualität der Arbeit
Wie definieren Sie den Begriff Diversity im Unternehmen?
*Frau Dr. Rump*: Diversity ist nichts anderes als der Umgang mit Vielfalt in einer Belegschaft, also mit den unterschiedlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder beschäftigten Gruppen, die es dort gibt: Männer, Frauen, Ältere, Jüngere, unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Lebens- und Arbeitssituationen. Der Blick auf diese Vielfältigkeit wird unter dem Begriff Diversity zusammengefasst.
*Grenzen sich die Schwerpunkte „Chancengleichheit & Diversity" voneinander ab?*
*Frau Dr. Rump*: Nein, das lässt sich nicht abgrenzen; wenn es um Vielfalt und den Umgang mit Vielfalt geht, dann gehen wir von der Individualisierung oder Individualität eines Menschen aus. Dabei geht es auch teilweise um die Andersartigkeit, denn wir sind ja nicht immer alle gleich. Das hat viel mit Chancengleichheit zu tun. Das heißt, man wird nicht benachteiligt, weil man einer bestimmten Gruppe angehört, sondern man wird ausschließlich in Bezug auf Leistung, Kompetenzen und Qualifikationen wahrgenommen und nicht aufgrund eines persönlichen Merkmals. Deshalb gibt es einen großen Zusammenhang zwischen den Themen Chancengleichheit & Diversity. Man kann also sagen: Diversity ist der Oberbegriff, und der ist ganz stark verknüpft mit dem Thema Chancengleichheit.
*Warum ist es wichtig, das Thema „Chancengleichheit & Diversity" in der Personalpolitik eines Unternehmens zu verankern?*
*Frau Dr. Rump*: Zum einen entsteht dadurch eine große Motivationssteigerung: Wenn Sie die Menschen nicht über einen Kamm scheren, sondern sie in ihrer Individualität wahrnehmen und wertschätzen, führt das zu einer hohen Identifikation der ArbeitnehmerInnen mit dem Arbeitgeber. Sie werden sagen: "Hier ist ein guter Arbeitgeber, hier fühl ich mich wohl, hier bring ich Leistung." Ein weiterer Aspekt ist, dass die Trends in der Wirtschaft und in der Arbeitswelt uns quasi mit der Nase auf das Thema Vielfalt und seine Kerndimensionen stoßen: Die demographische Entwicklung führt u.a. dazu, dass wir Ältere und Jüngere zunehmend im Blick haben. Der gesellschaftliche Wertewandel führt dazu, dass wir die Generationenvielfalt im Blick haben. Der Megatrend "Frauen", oder die Feminisierung, führt dazu, dass wir das Thema Gender also Geschlecht zunehmend zur Kenntnis zu nehmen haben. Die Globalisierung führt dazu, dass wir zunehmend unterschiedliche Kulturen also Internationalität in den Blick nehmen müssen ....
Mit anderen Worten: aus den Megatrends heraus leitet sich auch das Thema Umgang mit Vielfalt ab. Und nicht zuletzt ist der Fachkräfteengpass ein Treiber. Wenn Unternehmen realisieren, dass der Arbeitsmarkt zunehmend angespannter wird, müssen sie ihr Rekrutierungsverhalten verändern und Gruppen in den Blick nehmen, die man vorher nicht im Auge hatte. Insbesondere bei Frauen lässt sich Potenzial heben, weil viele Frauen in klassischer Teilzeit arbeiten (18-20 Stunden pro Woche) - die übrigens die meisten Frauen gar nicht präferieren.
*Was steht Ihrer Meinung nach einer gelungenen Personalpolitik in diesem Bereich bislang im Weg?*
*Frau Dr. Rump*: Es gibt natürlich eine Reihe von Stolpersteinen. Einer davon ist, Sonderprogramme zu fahren: Der Betrieb gestaltet ein Programm für Frauen, eins für Ältere, eins für MigrantInnen und so weiter. Das führt dazu, dass nicht die gesamte Belegschaft wahrgenommen wird, sondern - etwas bösartig ausgedrückt - nur bestimmte "Randgruppen". Diese letztere Begrifflichkeit zeigt, dass das Angebot solcher Extra-Programme Gefahr läuft, missverstanden zu werden. Dann wird es schwierig mit der Umsetzung und mit der Akzeptanz.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der zum Stolperstein werden kann, ist die Verortung einer solchen Personalpoltik. Chancengleichheit & Diversity muss als strategisches Thema begriffen werden. Man kann nicht sagen: "Personalabteilung, mach mal ein Konzept und setz es um!", sondern es muss im Top Management verankert sein. Nur so „versickert“ es nicht in der Organisation.
Und der dritte Stolperstein liegt im Thema Vielfalt und Diversity an sich. Das Ziel dieser Ausrichtung ist ja, mit der Individualität eines Menschen zu arbeiten. Damit steigt der Koordinationsaufwand - und den gibt es nicht zum Nulltarif. Es braucht Ressourcen, Führungskräfte sollten für das Thema sensibilisiert werden, es bedarf einer guten Kommunikationspolitik.
*Was entgegnen Sie denn einem Unternehmen, das sagt "Dafür hab ich keine Zeit, das kann ich mir nicht leisten"?*
*Frau Dr. Rump*: Also ganz ehrlich: die Gegenfrage muss dann lauten – können Sie es sich leisten, es nicht zu tun? Und wenn ein Unternehmen für sich bestimmt, sie können es sich leisten es nicht zu tun, dann ist es für sie nicht relevant. Aber wenn die Unternehmen immer wieder die Antwort geben "das ist für uns relevant, aber wir haben jetzt keine Zeit, und wir haben kein Geld", muss man ganz klar antworten, dass wir hier nicht nur über eine strategische Entscheidung, sondern über Investitionspolitik reden. Jeder Betrieb - sei es im Handwerk oder in der Industrie - investiert doch in Maschinen, in die Prozesse, in die Systeme und Strukturen und letztendlich auch in MitarbeiterInnen. Wenn es als unternehmenspolitische Investitionsentscheidung verstanden wird, stellt sich die Frage der Ressourcen in dieser Form nicht mehr. Viele Betriebe denken, dass die Investitionen in Diversity teuer sind. Es ist zwar nicht zum Nulltarif zu haben, aber es sind auch keine unüberschaubaren Kosten zu erwarten.
*Welche ersten konkreten Schritte empfehlen Sie insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen der Technikbranche, wie sie hier im Projekt MINTrelation Zukunftswerkstatt Technikberufe vertreten sind*
*Frau Dr. Rump*: Trotz des ganzheitlichen Blicks und der Philosophie der Individualisierung sollte zu Beginn nicht die gesamte Vielfalt mit ihrer Kerndimension komplett in den Blick genommen, sondern eine Politik der kleinen Schritte verfolgt werden. Ich empfehle, mit einem Thema zu beginnen, das nahe liegt und das auch schnell zu einer Akzeptanz im gesamten Unternehmen führt. Wichtig ist, es so zu handhaben, dass alle ein offenes Ohr dafür haben.
Der zweite Schritt ist, eine klare Status-Quo-Analyse zu machen. Was haben wir schon, was machen wir gut, warum brauchen wir das. Und dann in einem dritten Schritt wird eruiert, wo noch „weiße Felder“ sind, an denen gearbeitet werden muss.
Also: Eine Politik der kleinen Schritte, in der strukturiert vorgegangen und darauf Wert gelegt wird, dass man schnelle Erfolge hat. Man muss aber auch deutlich machen, dass wir nicht von einer Projektarbeit sprechen, die nach 16 oder 18 Monaten beendet ist. Sondern über ein Thema reden, das strategisch verortet ist, das ein wichtiges Rückgrat - auch der Unternehmenspolitik - ist. Es ist ein Dauerbrenner-Thema, das die Unternehmen mindestens fünf Jahre lang aktiv bearbeiten sollten, damit es in der Organisation so Fuß gefasst hat, dass es auch zu einem Selbstläufer wird. Aber selbst dann gilt es, das Thema immer zu begleiten durch Führung, durch Kommunikation und durch ganz klares Commitment, dass das ein ganz wichtiges strategisches Grundsatzthema ist.
*Wie sieht für Sie ein Unternehmen aus, dass „Chancengleichheit & Diversity" in weiten Teilen seiner Personalpolitik umgesetzt hat? Woran erkennt eine technisch interessierte Schülerin oder Studentin, dass das Unternehmen, in dem sie sich bewirbt, auf ihre Bedürfnisse eingehen wird?*
*Frau Dr. Rump*: Man kann es zum Beispiel am Anteil der Frauen in Führungspositionen erkennen. Man kann beim Genderthema ganz klar sehen, wie Karrieremodelle für Frauen in den Unternehmen verlaufen. Bei der Thematik Generationen geht es um die Frage: ist das Thema "Generation Y" überhaupt im Unternehmen verortet. Oder beim Thema Alter: gibt es in der Aus- und Weiterbildung eine gewisse Alter(n)sspezifik? Wie ist die Weiterbildungsbeteiligung von Älteren?
Dennoch kann man das Thema Chancengleichheit nicht grundsätzlich nur mit EINEM Indikator versehen. Es ist wichtig, in die Kerndimensionen zu gehen. Kennt man im Unternehmen überhaupt den Begriff Chancengleichheit, Vielfalt oder gar Diversity? Oder wird gesagt: "Was ist das für ein neumodischer Kram?" Welche Führungskräfte hat das Unternehmen? Sind es die besten Fachleute, beziehungsweise sind die Menschen deshalb Führungskraft geworden, weil sie für ihre Fachlichkeit belohnt wurden, oder haben sie auch eine gewisse Methoden- und Sozialkompetenz? Denn wenn Sie Chancengleichheit und Vielfalt managen wollen, müssen Sie Führungskräfte haben, die sozialkompetent sind und die eine gewisse Empathie haben.
*Zum Schluss würden wir uns noch über von Ihnen empfohlene Literatur zum Thema freuen*
*Frau Dr. Rump*: Ich würde da in erster Linie auf die Charta der Vielfalt verweisen wollen – ein Netzwerk von Unternehmen, die sich mit der Thematik Chancengleichheit befassen. Dort gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen, Links, Veröffentlichungen, die für die Unternehmen - auch für kleinere - relevant sind.
*Vielen Dank für das Interview!*