Ich bin nicht da
Autorin: Lize Spit
Übersetzt von: Helga van Beuningen
Leo arbeitet in einem Laden für Schwangerschaftsmode. Als sie einen panischen Anruf von ihrer besten Freundin Lotte erst verpasst und dann endlich entgegennimmt, ist es schon fast zu spät. Eine Katastrophe bahnt sich an. Der Roman beginnt mit diesem Erzählstrang, um dann immer wieder zurückzuschauen, wie es dahin kam. Wir lernen die Ich-Erzählerin Leo kennen, eine etwas unsichere Möchtegern-Drehbuchautorin und unfreiwillige Still-BH-Expertin. All ihre Liebe gehört ihrem Freund Simon, einem unkomplizierten, sympathischen und sehr begabten Grafiker. Sie leben glücklich in einer Art friedlicher Symbiose zusammen, begleitet von Schildpattkatze Daan und kleinen liebevollen Beziehungsritualen. Als Simon eines Tages mit einem Tattoo hinter dem Ohr nach Hause kommt, wendet sich das Blatt. Er verändert sich, auf unangenehme Art und Weise. Diagnose: Bipolare Störung. Damit gerät auch Leos Leben aus der Spur.
Immer wieder kehren wir als Leser:innen in die 11, 10, 9, 8... Minuten vor der Vielleicht-Tragödie zurück und müssen das Schlimmste befürchten. Nur was? Auch wenn der Klappentext ein wenig suggeriert, es handle sich um eine Art rasanten Thriller, so ist es nicht, auch wenn man schlussendlich natürlich wissen möchte, was denn da los ist. Dass man das Buch nicht aus der Hand legen und trotz der wirklich beklemmenden Geschichte wirklich jede Zeile genießen kann, liegt aber nicht an diesem Katastrophen-Countdown, sondern an Spits wunderbarem Stil. Trotz des bedrückenden Inhalts ist die Sprache leicht und zaubert einem ständig ein Lächeln ins Gesicht. Es stecken so viele kleine (auch fiese) Beobachtungen und Details in diesem Buch, dass man es gerne noch einmal lesen möchte. Ich habe mit der Erzählerin, die eigentlich eine wahre Anti-Heldin ist, mitgefühlt und mitgelitten, aber nie kamen mir die Tränen, weil der Ton eher durch trockenen Witz besticht als durch pathetische und dramatische Überspitzungen. Ein finsterer Plot, der trotzdem voller Wärme und Witz steckt - eine großartige Mischung.
Ein absolut lesenswertes Buch einer sehr begabten Autorin. Empfehlenswert für alle, die sich freiwillig oder unfreiwillig mit psychischen Erkrankungen beschäftigen, aber auch für alle, die einfach nur ein extrem gut geschriebenes Buch lesen wollen, das Emotionen transportiert, ohne auf die Tränendrüse zu drücken. Mein absolutes Buch-Highlight 2022!
PS: Wer Lize Spits Debütroman "Und es schmilzt" gelesen hat, weiß, dass die Autorin einen wirklich schocken kann und in ihrer Darstellung menschlicher Abgründe wenig zimperlich ist. Ich finde "Ich bin nicht da" etwas milder, aber leicht heißt auch hier nicht seicht. ;-)
*Erschienen bei S. FISCHER*
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Autorin / Autor: luthien - Stand: 8. August 2022