Den Kopf voller Daten
Studie: Gehirne älterer Menschen arbeiten langsamer, weil sie mehr Wissen gespeichert haben
Du hast das Gefühl, dass manche älteren Menschen etwas länger brauchen, bis sie dir deine Fragen richtig beantwortet haben? Wäre zumindest kein Wunder, denn sie müssen ja auch erstmal den Wust an Informationen, die sie im Laufe des Lebens aufgenommen haben, sortieren. Manch einer glaubt, das Denkvermögen lässt im Alter nach. Denkste! Ältere Menschen denken zwar tatsächlich etwas langsamer als jüngere, aber nur, weil sie im Laufe der Zeit mehr Wissen angesammelt haben.
Sprachwissenschaftler Michael Ramscar und seine Kollegen von der Universität Tübingen können zumindest nicht bestätigen, dass die Gehirnfunktionen im Alter abnehmen. Im Gegenteil! Die WissenschaftlerInnen erstellten Computermodelle, die menschliches Verhalten in Tests zur kognitiven Fähigkeit vorhersagen und auswerten können. Speisten sie nur wenige Datensätze in den Computer ein, ähnelte seine Leistung der von Jugendlichen. Benutzten sie jedoch sehr große Datensätze, um die Erfahrung eines ganzen Lebens zu simulieren, war die Leistung des Computers der eines Erwachsenen vergleichbar. Der Grund für diesen Unterschied war nicht, dass die Leistungsfähigkeit des Computers nachgelassen hatte. Er wurde langsamer, weil er mehr Informationen verarbeiten musste.
Michael Ramscar veranschaulicht dies an zwei Beispielen: „Stellen Sie sich jemanden vor, der die Geburtstage von zwei Personen kennt und sich perfekt an diese erinnert. Würden Sie wirklich behaupten, dass diese Person ein besseres Gedächtnis hat, als jemand, der die Geburtstage von 200 Leuten kennt und in neun von zehn Fällen Person und Datum richtig zuordnen kann? Oder sie durchsuchen ein Buchregal mit 200 Büchern und eines mit 20 Büchern ‒ bei welchem finden Sie ihre Informationen schneller?“
*Längere Suchdauer unterschätzt*
Ramscar und seine Kollegen trainierten den Computer schließlich mit riesigen linguistischen Datensätzen. Dabei konnten sie zeigen, dass standardisierte Wortschatz-Tests, wie sie in Altersstudien verwendet werden, die Wortschatzgröße von Erwachsenen massiv unterschätzen. Deshalb würden generell auch die Gründe für die längere „Suchdauer“ im Gedächtnis unterschätzt, so die ForscherInnen. Um die Leistung richtig zu bewerten, müssten Wissenschaftler in Betracht ziehen, wie Erfahrungen den Raum des Gedächtnisses vergrößern, der bei einer Abfrage durchsucht werden muss, sagt der Tübinger Psychologe Peter Hendrix.
*Erwachsene beherrschen Wissenszuwachs besser*
Die Arbeit von Ramscar und seinen Kollegen erklärt nicht nur, warum das Gehirn eines Erwachsenen als langsamer und vergesslicher erscheinen muss als das eines Jugendlichen. Die Forschergruppe kommt zu dem Schluss, dass die Leistungsveränderungen im Alter sogar demonstrieren, dass Erwachsene ihren Zuwachs an Wissen besser beherrschen. Die Wissenschaftler nutzten dafür den gängigen „paired-associate learning “-Test, mit dem kognitive Fähigkeiten gemessen werden. Die Testpersonen mussten dabei Wortpaare wie „oben“/„unten“ oder „Krawatte“/“Knallbonbon“ einstudieren.
Zwar konnten Jugendliche sich Wortpaare wie „oben“/„unten“ besser merken als Wortpaare wie „Krawatte“/„Knallbonbon“, weil diese im Sprachgebrauch häufiger gemeinsam auftreten. Aber insgesamt prägten sie sich Wortpaare unabhängig davon ein, ob sie zusammen Sinn ergaben – es machte für sie wenig Unterschied ob „Knallbonbon“ in Zusammenhang mit „Krawatte“ oder mit einem anderen Wort erschien. Die Erwachsenen hingegen merkten sich in dem Test zusammenpassende Wortpaare leichter als unsinnige Zusammenstellungen – sie hatten im Laufe ihres Lebens ein besseres Verständnis dafür entwickelt, wie Wörter im Sprachgebrauch zusammengehören. Professor Harald Baayen erklärt dies folgendermaßen: „Um eine Sprache richtig zu verwenden, muss man vermeiden, Begriffe zusammenzubringen, die zwar plausibel erscheinen, aber nicht zusammenpassen. Das können Erwachsene aufgrund ihrer Lebenserfahrung besser.“
Die Tübinger WissenschaftlerInnen folgern aus ihren Ergebnissen, dass die Messung der kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen anders gestaltet werden muss. Für sinnvolle Tests müsste zunächst geklärt werden, welche und wie viele Informationen unser Gehirn verarbeitet. Die bisher gängigen Tests können dies nach Ansicht der Forscher nicht leisten, sagt Michael Ramscar. „Das Gehirn älterer Menschen wird nicht leistungsschwächer, ganz im Gegenteil, es weiß einfach mehr.“
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Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung - Stand: 23. Januar 2014