Liebe sich, wer kann

Autorin: Annette Mierswa

„Liebe sich, wer kann“ ist ein Roman der deutschen Kinder- und Jugendbuchautorin Annette Mierswa, welche 1969 in Mannheim geboren wurde und aktuell in Hamburg lebt. Er handelt von Jakob und Lotti, welche im Alltag beide mit Stress- und Angstgefühlen zu kämpfen haben und sich so als scheinbar ideale Weggefährten gemeinsam auf eine abenteuerliche Wanderung zum geheimnisvollen „Château“ machen.

Es sind Sommerferien und Jakob, der selbst von seinem familiären Umfeld häufig niedergemacht wird, bekommt einen Anruf von Lotti, einer ehemaligen Schulkollegin, die mit ihm als beschützende Begleitung zu Fuß zu einem vermeintlichen Erholungsurlaub ins „Château“ möchte. Die beiden Teenager kennen sich nur flüchtig, kommen sich auf der mehrtätigen 120 Kilometer langen Wanderung aber schnell näher, besonders aufgrund geteilter psychisch belastender Erfahrungen. Während sie auf ihrem Weg durch das Hamburger Umland pferdereitenden Gleichaltrigen, strickenden Umweltschutzaktivist_innen oder einer Wildkräuter- und Gemüsespezialistin begegnen, öffnen sie sich dem Gegenüber immer mehr und tauschen sich über Identitäts- und Zukunftsfragen aus. Sie legen weite Strecken zurück, schlafen in Zelten, schwimmen in Seen, verlaufen und verlieben sich und sind dabei mal mehr und mal weniger motiviert und nicht immer gut gelaunt - aber dass das Leben perfekt und reibungslos ist, will Mierswa mit ihrem Buch auch nicht zeigen, eher dass es genau das nicht ist. Erst zum Ende hin wird aufgelöst, was es mit Lottis Wanderziel des „Châteaus“ auf sich hat, im Endeffekt ist die Reise mit all ihren Hindernissen und Erlebnissen für die beiden Jugendlichen jedoch ohnehin zentraler als das Ziel allein.

Die Autorin hält die Auseinandersetzung mit der im Zentrum stehenden Frage nach dem nicht definierbarem „Normal-sein“ für wichtig, genauso Themen wie Stress-, Angst- und Panikempfinden einzubringen, wobei sie hier auch aus eigenen Erfahrungen spricht. Besonders schön finde ich dahingehend den Aufruf im Nachwort, dass solche Empfindungen nicht ausweglos sind und sich damit an andere zu wenden kein Zeichen von Schwäche, sondern Stärke ist. Wie die zwei Protagonist_innen lebt auch Annette Mierswa in Hamburg, die Wahl der Stadt und des umliegenden Gebietes als Wohn- und Reiseorte von Lotti und Jakob liegt also nicht fern und deren Reiseplan verläuft entlang realer Punkte wie dem „Naturschutzgebiet Boberger Niederung“, den Orten „Elmenhorst“ oder „Gadebusch“ oder zuletzt dem am „Schweriner See“ liegenden „Château“. Interessant ist bei Letzterem, dass direkt am See - zwar nicht im Schloss, aber in einem anderen Gebäude - tatsächlich eine psychotherapeutische Klinik liegt.

In dem sich besonders an Jugendliche richtenden Roman schreibt die Autorin über Themen wie Unsicherheit, Stress, Panikattacken und Angststörungen und arbeitet diese sehr gut in eine positive Abendteuer- und jugendliche Liebesgeschichte ein. Auch mit Anfang zwanzig konnte ich mir Einiges aus dem Buch mitnehmen: Besonders die Message, dass man nicht allein ist mit seinen Problemen und sich Hilfe zu suchen nichts Unangenehmes sein sollte.

Mierswa gelingt es, das zentrale Thema von mentaler Erkrankung so für junge Leser_innen zu enttabuisieren, auch wenn an den beinahe zu vielen außergewöhnlichen Begegnungen und Zufällen während Lottis und Jakobs Wanderung das Fiktive oft recht stark herauslesbar ist. Andererseits schaffen diese vielen Treffen Raum für weitere wichtige Fragen nach Umweltschutz oder auch nach dem Umgang mit Schicksalsschlägen bzw. schweren Krankheitsdiagnosen in jungem Alter. Meiner Meinung nach kommen an manchen Stellen Jakobs Panikgefühle etwas zu kurz und bis auf seine Notfallbox wird weniger konkret auf mögliche Lösungsansätze als bei Lottis Schwierigkeiten hingewiesen. Dass Lotti sich auf der Suche nach einer Reisebegleitung genau an den sich einsam fühlenden Jakob wendet, ist zwar eine nette Idee und auch wenn eine gewisse Verbindung über die gemeinsame Schulpsychologin besteht, in Realität eher unwahrscheinlich. Gut gefällt mir grundsätzlich, dass über Lottis Wandervorhaben aus Jakobs Perspektive geschrieben wird: So ist es möglich, dass erst zum Schluss „Geheimnisse“ rund um Lottis rege Handynutzung mit „Toni“ oder das Wanderziel aufgelöst werden. Auch das Mithineindenken von im 21. Jahrhundert relevanten Elemente wie der jugendlichen Identifikation mit Computerspielheld_innen finde ich ansprechend, genauso das Buchcover, gestaltet mit Notizzetteln als Referenz zu den Notizen in Jakobs Notfallbox. Alles in allem ist „Liebe sich, wer kann“ besonders für Teenager und junge Erwachsene ein empfehlenswertes Buch, aus dem Vieles mitzunehmen ist, während es gleichzeitig Lust auf eine sommerliche Abenteuerwanderung bereitet.


*Erschienen bei Loewe*

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Autorin / Autor: Konstantina Hornek - Stand: 3. Januar 2021