Sillay ist 20 Jahre alt und studiert im vierten Semester Medizin. Was hinter dem Klischee des anspruchsvollsten Studienganges wirklich steckt und welche Eigenschaften man fürs Medizinstudium mitbringen sollte, erzählt sie in dem folgenden Interview.
*Was hat dich damals dazu bewegt, Medizin zu studieren?*
Einer der Gründe, wieso ich mich für das Medizinstudium entschieden habe, war der typisch idealistische Grund, Menschen zu helfen und Leben zu retten. Darüber hinaus hat mich jedoch auch der wissenschaftliche Aspekt des Studiums fasziniert und die Tatsache, dass man in dem Studium lernt, den Menschen zu verstehen - als Ganzes und als Körper. Das waren eigentlich meine Hauptmotivationen. Weitere Faktoren, die für die Wahl des Medizinstudiums hinzukamen waren außerdem, dass ich das Gefühl habe, dass ein Job im Medizinbereich mir niemals langweilig werden könnte, weil man wahrhaftig etwas Gutes macht und außerdem, weil nicht jeder Mensch gleich ist und man mit den unterschiedlichsten Menschen und Krankheitsbildern konfrontiert wird.
Darüber hinaus finde ich es toll, wenn Jobs einem die Möglichkeit bieten, viel zu reisen, was ja beispielsweise im Bereich Medizin durch Projekte wie Ärzte ohne Grenzen möglich ist. Dies war auch einer der Gründe, wieso mich das Studium so gereizt hat.
*Welche Erwartungen hattest du an das Studium?*
Ich wusste schon, dass es hart wird. Das hört man im Vorhinein einfach schon sehr oft und aufgrund dessen hatte ich damit auch schon gerechnet. Ich habe jedoch auch erwartet, dass es sehr interessant wird, auch in Begleitung mit vielen „Aha“-Momenten, dadurch dass man viele Zusammenhänge erkennt und versteht.
*Wurden deine Erwartungen erfüllt?*
Im Bezug auf den Aspekt, dass es ein hartes Studium wird, wurden meine Erwartungen auf jeden Fall erfüllt.
Meine zweite Erwartung jedoch, dass man Zusammenhänge erschließt, wurde nicht immer ganz erfüllt, wie ich es erwartet hatte. Dies hängt vor allem mit dem straffen Lehrplan des Medizinstudiums zusammen, weil es zeitlich einfach nicht möglich ist, alle Themen so detailliert zu beleuchten, dass einem bereits am Anfang alle Zusammenhänge und Wirkungen klar werden. Vor allem in meinen ersten drei Semestern, die ich anstelle von Köln in Essen studiert hatte, ist mir das aufgefallen. Dort war es ein ganz klarer "Regelstudiengang", denn man hat viel gelernt, aber eben auch einige Themen nur oberflächlich behandelt. So hat man sich beispielsweise mit Biochemie und Physik beschäftigt, aber in vielen Fällen eben keine Verbindung zwischen den beiden Fächern geknüpft. Diese Verknüpfungen könnte man meiner Meinung nach im Medizinstudium noch weiter ausbauen. Ich bin mir jedoch auch im Klaren darüber, dass mein Wunsch höchst wahrscheinlich gar nicht realisierbar ist, weil das Studium auch ohne noch weiter reichende Verknüpfungen bereits sehr umfangreich ist.
*Das Medizinstudium gilt als sehr anspruchsvoll. Wie empfindest du das?*
Wenn man das Studium sehr ernst nimmt und wirklich alles ganz genau verstehen will, ist es in der Tat sehr anspruchsvoll. Meiner Meinung nach ist das jedoch fast gar nicht realisierbar, weil die Zeitspanne einfach nicht ausreicht, um alles bis ins kleinste Detail zu lernen und zu verstehen. Dabei ist es wichtig, auch mal Prioritäten zu setzen und nicht allem eine enorm hohe Wichtigkeit beizumessen.
Natürlich hängt all das jedoch auch davon ab, was für ein Lerntyp man ist und es gibt ja z.B. auch Menschen, die über ein fotografisches Gedächtnis verfügen, sich den Stoff einmal anschauen und ihn drin haben. Ich hingegen muss pauken bis zum Ende, damit ich alles verinnerlicht habe, deswegen ist auch diese Empfindung sehr subjektiv.
Ein weiterer Faktor den man mit einbeziehen sollte ist, was der Student mit seinem Lernen eigentlich erreichen will. Will er nur durch die Klausur kommen? Das gelingt einem nämlich meistens auch, wenn man nicht alles ganz so akribisch lernt. Der zeitliche Druck ist schon ein Problem, aber das Studium an sich ist auf jeden Fall zu schaffen, wenn man sich reinhängt und Spaß an der Materie hat.
*Welche Interessen und Charaktereigenschaften sollte man für das Studium mitbringen?*
Viele meiner Mitstudenten haben sich für das Studium entschieden, weil ihre Eltern z.B. Ärzte sind und sie die Laufbahn fortführen möchten. Es sind auch viele Studenten dabei, die der Status eines Artzes reizt, auch verbunden mit dem hohen monatlichen Einkommen. Meiner Meinung nach reichen diese Beweggründe alleine allerdings nicht aus. Denn wenn ich beispielsweise morgends keine Lust habe, aufzustehen, ist es enorm wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, aus welchen Gründen man das Medizinstudium macht. Es müssen ja nicht einmal wie bei mir idealistische Gründe dahinter stecken. Es kann auch reichen als Motivation für das Studium schlichtweg das Interesse am menschlichen Körper oder die Naturwissenschaften mitzubringen. Das ist auch völlig ok, denn es ist etwas, wofür man dann letztendlich „brennt“. Aber sich leichtfertig dafür zu entscheiden, weil man einen hohen NC hatte oder die Familien-Berufslaufbahn erhalten möchte, ist meiner Meinung nach nicht richtig, denn die Leidenschaft für den Studiengang ist am Ende entscheidend dafür, dass man nicht die Motivation verliert. Es ist enorm wichtig, ein Ziel vor Augen zu haben, wofür man alles geben wird.
Auf die Charaktereigenschaften bezogen ist es außerdem enorm wichtig, ausreichend Durchhaltevermögen mitzubringen, denn es kann passieren, dass man nicht jede Klausur auf Anhieb besteht und auch damit sollte man sich zufrieden geben, denn das ist kein Weltuntergang. Es kann auch nicht schaden, wenn man ein dickes Fell mitbringt, weil man nicht davon ausgehen muss, dass die Menschen, die mit einem studieren immer alle super nett zu einem sind. Gerade bei einem Studiengang wie dem Medizinstudium werden gerne einmal die Ellbogen ausgefahren. Man sollte sich nicht davon abhängig machen, wie die anderen Menschen sind und standhaft bleiben, um es auch alleine durchzuziehen. Fleiß und Ehrgeiz sind für das Medizinstudium außerdem sehr wichtig, da einem auch Fächer begegnen, die einen nicht so interessieren werden. So war es bei mir beispielsweise mit Physik, da es sehr anspruchsvoll ist.
*Wem würdest du von dem Studium eher abraten?*
All denen, die es aus den "falschen" Beweggründen machen wollen, wie ich eben schon erwähnte beispielsweise ein bestimmtes Status-Symbol erreichen wollen oder materialistische Ziele anstreben wie ein hohes monatlichen Einkommen. Es ist gut möglich, dass sich gerade diese Menschen im Studium als die perfekten Studenten entpuppen, aber ich muss da vor allem an die Patienten später denken, wenn jemand zu sehr nur auf das Studium und nicht auf die Menschen fokussiert ist. Es passiert einem ja auch häufig im Alltag, dass man sich von Ärzten behandeln lässt, die man für den Job ungeeignet findet, weil die soziale Kompetenz nicht stimmt. Diese soziale Kompetenz und der Wunsch Menschen zu helfen alleine reicht jedoch auch nicht aus. Es muss auch ein gewisses Interesse an den Naturwissenschaften vorhanden sein. Leute, die sich dafür nicht begeistern können, würde ich von dem Studium auch eher abraten.
*Was gefällt dir an dem Medizinstudium ganz besonders?*
Ich finde es wirklich toll, wenn ich sehe, wie bestimmte Prozesse funktionieren und wenn ich in meinem Kopf verschiedene Fächer miteinander verknüpfen kann wie beispielsweise die Zellbiologie mit der Chemie. Wenn ich für diese Fächer und Prozesse in meinem Kopf eine Brücke bauen kann, gibt mir das einfach ein gutes Gefühl im Studium.