Stellt euch vor, ihr müsstet aus irgendeinem Grund eure Heimat verlassen, sei es, weil ihr an einer verbotenen Demonstration teilgenommen habt oder zu einer Volksgruppe gehört, die verfolgt wird. Ihr schafft es so gerade, den unendlich langen Weg in ein anderes Land hinter euch zu bringen, ohne dass das Fluchtboot kentert oder ihr unterwegs verhungert, und landet in einem Land, das so aussieht, als könnte es eure neue, sichere Heimat werden. Aber dann werdet ihr in Sammelunterkünften untergebracht, in denen ihr euch mit vielen anderen Menschen ein Zimmer teilen müsst, und es wird euch gesagt, dass dieser Zustand sehr lange anhalten wird, denn bis die Gerichte entschieden haben, ob ihr bleiben könnt oder abgeschoben werdet, können Jahre vergehen. In den ersten Monaten seid ihr nichts weiter als dankbar, dass euer Leben gerettet wurde und euch eine glücklichere Zukunft bevorsteht, aber dann nimmt das Warten immer hässlichere Züge an. Das Leben in den engen Lagern wird immer unerträglicher und das Essen macht zwar satt, aber es entspricht so gar nicht dem, was ihr in eurer Heimat gewohnt wart zu essen. Es gibt zwar einzelne Läden, die Lebensmittel aus eurer Heimat anbieten, aber dort dürft ihr nicht einkaufen, weil ihr nur Essensmarken bekommen habt, mit denen ihr in ganz bestimmten Supermärkten einkaufen dürft - falls ihr überhaupt selbst Lebensmittel kaufen dürft. Ihr könntet nämlich auch das Pech haben, sämtliche Mahlzeiten vorgesetzt zu bekommen und euch vom spärlichen Taschengeld lediglich die Telefonrechnung bezahlen zu können. Alles, was andere einheimische Jugendliche in eurem Alter so machen, wie zum Beispiel ins Kino oder ins Schwimmbad zu gehen, Bücher zu kaufen oder einen Ausflug zu machen, ist natürlich schwierig ohne Geld ...
*"Traumheimat Deutschland?"*
Diese "Traumheimat" ist nicht irgendein Land, diese Zustände findet man hier in Deutschland, in einem Land, das das Asylrecht im Grundgesetz verankert hat! Seit 19 Jahren gilt hierzulande das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz, das eine ganze Reihe von Verschlechterungen für Schutzsuchende mit sich brachte: die Reduzierung des Unterhalts, die Unterbringung in Wohnheimen und die Ausgabe von Sachleistungen oder Essensgutscheinen statt Geld. Die Politik war der Meinung, dass man so Flüchtlinge davon abhalten könne, nach Deutschland zu kommen. Viele Flüchtlinge litten und leiden immer noch sehr darunter und versuchen die Öffentlichkeit unter anderem durch Hungerstreiks auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Manche von ihnen haben sich auch im Laufe der Jahre das Leben genommen.
*Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig*
Auf Proteste von Kirchen und zahlreichen Menschenrechtsorganisationen wie PRO ASYL, geschah lange Zeit nichts, bis am 18. Juli 2012 ein Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts endlich bestätigte: Die Einschränkungen durch das Asylbewerberleistungsgesetz sind verfassungswidrig und sind mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar. PRO ASYL begrüßt diese Entscheidung mit den Worten: „Das Gericht beendet ein jahrelanges Unrecht. Flüchtlinge sind keine Menschen zweiter Klasse“, so Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Auch Flüchtlingen müsse nun durch die vom Gericht angemahnte unverzügliche Neuregelung ein Leben in Würde ermöglicht werden. Das Grundgesetz schütze die Würde des Menschen und nicht die des deutschen Staatsbürgers, heißt es in der Presseerklärung.
*Begründung des Gerichts*
Das Gericht beschloss nun eine Übergangsregelung, die den Haushaltsvorständen an die Hartz-IV-Sätze angelehnte 336 Euro und Haushaltsangehörigen 260 Euro zuspricht. Gleichzeitig beauftragte es den Gesetzgeber bei einer Neuregelung der Leistungssätze eine konkrete Bedarfsberechnung zugrunde zulegen: "Die Höhe dieser Geldleistungen ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen in Deutschland nicht verändert worden ist. Zudem ist die Höhe der Geldleistungen weder nachvollziehbar berechnet worden noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich", so die Begründung des Gerichts.
*Entwürdigende Praxis*
PRO ASYL geht dieses Urteil aber noch nicht weit genug, der Verein fordert: "das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz muss abgeschafft werden. Die entwürdigende Praxis, Asylsuchende mit Lebensmittelpaketen und anderen Sachleistungen abzuspeisen, muss beendet werden. Auch dürfen Flüchtlinge nicht länger gezwungen werden, in Lagern zu leben." Das Asylbewerberleistungsgesetz stamme aus einer Zeit, in der man Flüchtlinge um jeden Preis abschrecken wollte. Wer diese Politik heute fortschreiben wolle, demütige Menschen, deren Schutzbedürftigkeit auf der Hand liege – etwa Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Sudan, Somalia oder Eritrea. "Wer aus diesen oder anderen Ländern nach Deutschland flieht, lässt sich nicht durch mangelhafte Lebensmittelpakete oder schäbige Unterbringung abschrecken. Die Abschreckungslogik funktioniert nicht. Aber sie demütigt Flüchtlinge und macht sie psychisch kaputt“, so Günter Burkhardt.
Hoffen wir, dass das Urteil tatsächlich etwas in Bewegung bringt und sich die Lage der Asylsuchenden in Deutschland endlich verbessert - sonst müssten wir uns wirklich schämen, wenn wir auf der einen Seite Menschenrechtsverletzungen (wie gerade in Syrien) anprangern, aber den hilfesuchenden Menschen, die zu uns kommen, noch nicht mal das Existenzminimun anbieten.
Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 20. Juli 2012