Das Cover ist schlicht gehalten, ohne überflüssige Schnörkel. Babyblauer Hintergrund, darauf ein comichaftes, vereinfacht gemaltes Bild einer Schreibmaschine, aus der sich ein Langs Band Papier über die oberen zwei Drittel der Seite schlängelt. In schwarzen und roten, schlichten Schreibmaschinenbuchstaben der Titel „Mit anderen Worten: ich“.
Es ist das dritte Buch der Autorin Tamara Ireland Stone und hat einen tiefgehenden Hintergrund.
Als Leser verfolgt man die Geschichte eines Mädchens, Samantha, die lieber Sam genannt werden will, und ihren täglichen Kampf mit ihren eigenen Gedanken.
Sam leidet an einer Zwangsstörung, befindet sich seit Jahren in Therapie, doch neben ihrer Familie weiß niemand davon. Nicht einmal, oder, wie sich im Laufe des Buches herausstellt, besonders nicht ihre vermeintlichen besten Freundinnen. Denn die sind nicht unbedingt Freundinnen, die man sich wünscht, gehässig, fies, ausgrenzend – nur wenige der Worte, die mir zur „verrückten Acht“, wie sie sich nennen, einfallen.
Gedankenspiralen toben in Sams Kopf, beißen sich in ihr fest, kontrollieren sie. Zwingen sie, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun möchte, oder von denen sie weiß, dass sie sie nicht tun sollte. Ungesunde, obsessive Fixierung auf bestimmte Dinge, wie ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Person, Schlafstörungen, durch die Sam kaum schlaf abbekommen würde, würde sie keine Medikamente nehmen. Alles wird hinterfragt, jedes Wort der verrückten Acht, jedes Wort, das Sam selbst sagen könnte. Zudem ein beherrschendes Verhältnis zur Zahl drei – beispielsweise muss es beim Schwimmen immer die Bahn drei sein, auf der Sam schwimmt, immer, und der Kilometerzähler ihres Autos, ist die letzte Zahl keine drei, kann sie nicht parken, muss weiterfahren, bis die vermeintlich „richtige“ Zahl angezeigt wird.
Erscheinen einem die ersten Kapitel zunächst etwas befremdlich, findet man sich mit Voranschreiten des Romans immer mehr in Sams zwangskontrollierten Welt ein, lernt sie und die Last, die diese psychische Krankheit mit sich bringt, besser und besser kennen.
Nach Jahren mit nur mäßigem Erfolg bezüglich einer Besserung der Zwangsstörung, bringt erst das neue Schuljahr endlich eine wirkliche Wende in Sams Leben. Um nicht vor der Acht eine Panikattacke zu bekommen, flüchtet Sam ins dunkle Schultheater, verkriecht sich und trifft dort unerwartet auf Caroline. Caroline, die ihr zuhört, Mut macht, der sie von ihrer Krankheit erzählen kann, mit der es auf einmal so leicht ist, so, wie Freundschaft sein sollte.
Caroline ist es auch, die sie in die „Dichterecke“ bringt. Ein Raum, unter dem Schultheater, von den Meisten längst vergessen, genutzt von ein paar Schülern, die sich hier unten jeden Montag und Donnerstag in der Mittagspause treffen und sich gegenseitig selbstgeschriebene Gedichte vorlesen.
Obwohl sie zu Beginn noch recht unwillkommen ist und auch eigentlich gar keine Gedichte schreibt – sind doch Worte in Form ihrer Gedankenspiralen eher Sams Feinde, kommt Sam wieder. Die „Dichterecke“ hat etwas magisches, etwas heimisches an sich, hier fühlt sich Sam wohl wie sonst nur beim Schwimmen.
Und mit der Zeit wird sie ein Teil dieser Gemeinschaft, lernt, was Freundschaft und Verbundenheit ist und lernt, sich zu öffnen, fallen zu lassen und vor allem: zu vertrauen.
„Mit anderen Worten: ich“ ist keineswegs leichte Lektüre – nachdenklich, tiefgründig, traurig – aber auch hell leuchtend und fröhlich. Es ist ein Buch, das man nach dem Lesen nicht einfach abschließt und ins Regal stellt, denn es wird einem definitiv noch lange im Gedächtnis bleiben. Sams Geschichte ist nicht nur die Geschichte einer Zwangsstörung, sie erzählt von so viel mehr: Von Mut, Freundschaft, vom Fliegen und Fallen, vom Aufstehen und Weitergehen. Man merkt, dass T. I. Stone viel Zeit in Recherche investiert hat und wie geschickt sie mit Sprache umzugehen weiß, wie viel Herzblut und Emotionen in diesen Roman eingeflossen sind. Entstanden ist ein Buch, dass es verdient hat, zum Bestseller zu werden, weil es informiert, über Zwangserkrankungen, über den täglichen, oft ermüdenden Kampf, gegen die eigenen Gedanken, weil es nicht nur vom Schatten erzählt, sondern auch vom Licht, davon, nicht aufzugeben, auch wenn es so viel einfacher erscheint, als weiterzumachen und weil es eine Protagonistin hat, die selbst keine blütenweiße Weste hat und ihre Makel nicht nur auf die Krankheit schiebt.
Das mehr als überraschende Ende und die sich im Laufe der Geschichte anbahnende Liebe zwischen Sam und AJ, einem Jungen aus der Dichterecke, mit dem Sam noch etwas ganz anderes, weniger Erfreuliches verbindet, wird auch das kälteste Herz zum Schmelzen bringen – wer nah am Wasser ist, sollte sich schon mal ein Päckchen Taschentücher bereitlegen.
Es dürfte jetzt wohl kaum überraschend sein, ich sage es trotzdem noch: Absolut empfehlenswert! Und ich habe da so das Gefühl, dass wir von Tamara Ireland Stone noch den ein oder anderen literarischen Leckerbissen erwarten dürfen…
*Erschienen bei Magellan-Verlag*
Autorin / Autor: cheshirekitty - Stand: 6. Juni 2016